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DIE AUTOBIOGRAPHIE EMIL L. FACKENHEIMS

Dr. Julius Fackenheim ist in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts Rechtsanwalt in der Stadt Halle und hat mit seinem Kollegen Dr. Goldberg zusammen eine Rechtsanwaltskanzlei in der Großen Steinstraße. Er selbst war Absolvent des städtischen Gymnasiums und gibt seine drei Söhne Alexander, Emit und Wolfgang ebenfalls auf diese Schule.  Die zwei Letzteren werden Mitte der dreißiger Jahre das Gymnasium mit dem Reifezeugnis verlassen. Zu Ende des II. Weltkrieges wird die Familie Fackenheim in Halle nicht mehr ansässig sein - ein Teil ist emigriert nach Kanada bzw. England und andere wurden von den Nazis ausgelöscht.


Quelle: s.u.

Auf Grundlage der in England 2007 erschienenen Autobiographie Emil L. Fackenheims "An Epitaph for German Judaism - From Halle to Jerusalem" lässt sich einigs über die Zeit, das immer schwieriger werdende Leben in jüdischen Familien und konkret die Schule bis 1937 rekonstruieren.

Das erste Foto wurde 1993 vor dem Schulgebäude aufgenommen. Fast 65 Jahre nach seiner Emigration besuchte Emil L. Fackenheim am 8. Februar 1993 [S. 27]erstmals wieder seine Geburtsstadt und auch seine "alte" Schule, das ehemalige Stadtgymnasium. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Christian-Thomasius-Gymnasium seinen Standort in der Adam-Kuckhoff-Straße und unsere Schule befand sich noch in Heide-Nord. Zum Hintergrund der kritischen Bildunterschrift von Emil L. Fackenheim (der Name soll ab jetzt mit ELF abgekürzt werden) lässt sich folgendes sagen: 1993 waren 125 Jahre seit der Gründung des alten Stadtgymnasiums vergangen und das CTG gab dazu eine Schrift heraus (befindet sich im historischen Schularchiv der IGS). Das Jubiläum wurde wohl auch gefeiert mit einer entsprechenden Veranstaltung in der Aula. ELF schreibt dazu: "I was visiting my old school, the Stadtgymnasium, and the teachers were chatting, recalling how in 1918 there had been a musical celebration, conducted by Bruno Heydrich. Heydrich? Did his son Reinhard - next to to Hitler and perhaps Himmler, the worst murderer of Jews, the one they say who, had he not been assassinated, could have taken Hitler's place - attend my school?" [S. 7f.; Texthervorhebungen von ELF] Was war geschehen? Im Zitat wird auf das Jahr 1918 verwiesen. Im April diesen Jahres fand im Stadtgymnasium die 50-Jahrfeier statt und Gottfried Riehm hielt dazu in der Aula eine Rede. Programm der Festveranstaltung, Rede Gottfried Riehms und die Reden der Ehrengäste dieser Veranstaltung wurden in einer Broschüre veröffentlicht (ist als Kopie im histor. Archiv der IGS vorhanden). Aus dem Programm ist ersichtlich, dass Bruno Heydrich (Direktor eines privaten Konservatoriums nicht weit von der Schule entfernt und Vater des "Henkers von Halle", Reinhard Heydrich - der selbst kein Schüler des Stadtgymnasiums war) ein Musikstück speziell für das Stadtgymnasium komponiert und auch aufgeführt hatte (das Stadtgymnasium besaß zu diesem Zeitpunkt noch eine funktionstüchtige Orgel in der Aula). Entweder hatten die Schüler und Lehrer des CTG anlässlich des Jubiläums dieses Musikstück ausgegraben und bei ihrer Veranstaltung aufgeführt oder sie haben zumindest darauf verwiesen. Dass dieser Fakt dem - wahrscheinlich anwesenden - jüdischen Bürger Emil L. Fackenheim mehr als geschmacklos vorkam, ist nachvollziehbar. Möglicherweise stellte sich ELF auch die Frage, ob Reinhard Heydrich vielleicht doch auf der selben Schule gewesen war wie er selbst.


Die drei Söhne von Dr. Julius Fackenheim
(rechts oben der Autor der Autobiographie ungefähr im Alter eines Abiturienten)
Quelle: s.u.

Im Bild- und Textteil der Autobiographie finden sich weitere Hinweise auf die erste und 1998 zweite Reise von ELF nach Halle.  


>>Foto 2 zeigt ELF vor dem Synagogendenkmal am Großen Berlin und
>>Foto 3 die Stephanuskirche, dem ehemaligen Wohnhaus der Fackenheims gegenüber gelegen.


>>Foto 4 ist in der Wohnung der Fackenheims aufgenommen (wahrscheinlich 1934). ELF schreibt dazu: "This picture is important for two reasons: first, the band came to the our home, for only there were there drums; second, the whole Wenzlau familiy attended, including our teacher - they were all anti-Nazis. Front row, left to right: our quartet, Jürgen Wenzlau, me, Gustav Hennig, Herbert Thiess; second row, Alexander Fackenheim, Trude Fackenheim, Jürgen Wenzlau's odler brother; third row, Meta Fackenheim, Jürgen Wenzau's father (our teacher at the Halle Stadtgymnasium), Jürgen Wenzlau's mother, Wolfgang Fackenheim; back row, the two sisters of Jürgen Wenzlau." [Hervorhebungen B. Budnik; Quelle: s.u.]
Im Abiturientenverzeichnis von 1937 wird unter Nr. 1622 Jürgen Wenzlau, stud. chem., Halle Seebener Str. 190 LK [bedeutet Mitglied des Lesekreises der Schule] aufgeführt; er war also im gleichen Abiturientenjahrgang wie ELF. Aus der Bildunterschrift ist damit zu entnehmen, dass die Familien Fackenheim und Wenzlau in enger Beziehung zueinander standen und Herr Wenzlau Lehrer am Statgymnasium war und von ELF als Anit-Nazi eingechätzt wurde.


>>Foto 5 zeigt die Rückseite eines Nazi-Flugblatts mit der Auflistung jüdischer Geschäfte, Ärzte und Rechtsanwaltskanzleien in der Stadt Halle, zu deren Boykott aufgerufen wurde (an vierter Stelle im linken Block findet meLan die Adresse der RA Kanzlei von Dr. Julius Fackenheim und Dr. Adolf Goldberg). ELF weist in der Bildunterschrift darauf hin, dass er dieses Schriftstück erst bei seinem Besuch in Halle 1998 gesehen hat. 

In denen für unsere Recherchen zum Schulstandort wichtigen Abschnitten des Buches (Part 1: Germany, 1 - Childhood und Youth in Halle 1916-1933, 2 - Halle under Nazism 1933-1935) beschreibt ELF an verschiedenen Stellen seine damalige Schulklasse und einige Lehrer.  
Zum 31. Januar 1933, der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler, heisst es auf S. 25: "I was walking to school with Jürgen Wenzlau, my best friend... Jürgen was not the only on my side that day in the Stadtgymnasium. But then, for my familiy and me, my high school was not a strange place, let alone a hostile one. My father had attended it, and some of his teachers were mine also. All three of us boys went to the Stadtgymnasium: our parents would not have dreamt of sending anywhrere else."
Und auf S. 27ff.: "After that fateful last day in January 1933, when, as usual, Jürgen and I went to school together - the day on wich life-asusual came to an end. The school was still home when Jürgen und I arrived. There was no jubilation or pro-Hitler demonstration. This could have been in tactful respect for me, their Jewish classmate. But there was more. In 1933 there were only three democrats in my class, Jürgen, a boy named Schreiber, and me. But there were also just three Nazis. The one was set by old-style conservatives who wanted a kaiser, the old one, or his son or grandson as the new one. As for what they considered the vulgar Nazi rabble, these conservatives - especially the two von Krosigk brothers and, to a lesser extent, ab boy named Jüttner whose father was in the Reichswehr - could barely conceal their contempt. ... Of the tree Nazis in my class, a fellow named Most (a recent arrival who never beloged and departed soon after) was a hatefilled fanatic wiht whom I never exchanged a word. The second, Gustav Hennig (of whom more will be said later), was a friend of mine. The true-blue and indeed führer-type Nazi was Gernot Ulrich Sporn. I once argued with him about his Weltanschauung he had the answer to every question except one: 'What will happen when Hitler nicht mehr ist (is no more)?' He conceded, 'We do not know.' ... Thus Hitler in theory in the 1920s, in Mein Kampf, and in practice in September 1, 1939, the day he invaded Poland. As for Gernot Ulrich Sporn, he had absorbed Hitler's Weltanschauung at age sixteen or even earlier. Thus he chided the conservatives: Look at what your nobless got Germany, he told them, a lost war! The Deutsch Nationalen, I heard Sporn say more then once, had abgewirtschaftet - were through. ...
On January 31, 1933, the nobless of my conservative classmates was still intact. As far as my experience goes, it was still intact when I left school in 1935 ... Among our teachers the political constellation in 1933 was much the same. Only one teacher, Sporn's father [Erg. B. Budnik: Gernot Ulrich Sporn war in der Klasse von ELF und wird von ihm als einer der drei Nazis bezeichnet; im Adressverzeichnis wird er als Abiturient Nr. 1620 stud. jur. Halle, Gr. Ulrichstr. 6/8 geführt], was known to be a Nazi, and we never had him for a teacher. Boyke, the English teacher, who had made much of his democratic convictions prior to 1933 but now made much of his Nazi ones, was despised. I could not stand him myself. After Untersekunda, at age sixteen, German schools have a beer-drinking party und publish a Bierzeitung, with poems about teachers. ... I remember this poems. The one about Boyke, to the effect that he can curse better then he can speak English, went as follows:
Herr Boyke ist ein Englishman
bei dem man Englisch lernen kann.
auch schimpfen kann er gar nicht kläglich
Rotzlöffel und Kotze sind ganz alltäglich." [S. 30]

Hinweis: Die Fotos aus der Autobiographie wurden bewusst mit den Originalbildunterschriften und die Zitate bewusst in Originalsprache veröffentlicht.

Quelle: "An Epitaph for German Judaism - From Halle to Jerusalem" von Emil Fackenheim, The University of Wisconsin Press, England 2007, 327 S.
[Das Buch ist im histor. Schularchiv vorhanden]

--<Fortsetzung s. nächste Seite>---

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Ergänzung: Die Übersetzung aus dem Englischen von Auszügen aus dem Buch "Kein falsches Bild" von Frau v.Lips bzw. aus der englischsprachigen Autobiografie Emil L. Fackenheims kann - mit freundlicher Genehmigung von Erika Wielebinski - hier gedownloadet werden.
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