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VOM REFORMREALGYMNASIUM IN DER SOPHIENSTR. 37, EINGANG LUISENSTR., ZUM HERDERGYMNASIUM IN DER FRIESENSTRASSE

Die Buchlesung von Wilhelm Bartsch über sein Buch "Meckels Messerzüge" in der Aula des Herdergymnasiums gab Anlass, über das dortige Schulhaus, das 2013 ein hundert Jahre existiert, und dessen erste Schule in dem Gebäude, das Reformrealgymnasium, nachzudenken. Die Entstehungsgeschichte dieses Schulhauses hat nämlich etwas mit unserem Hause zu tun. Die Industrialisierung in Halle führte dazu, neben den humanistischen Gymnasien, die Latein und den alten Sprachen viel Raul widmeten, mehr naturwissenschaftlich ausgerichtete höhere Schulen zu gründen. Und dies passiert oft in den "Mauern" der alten klassischen Gymnasien. Erst wenn sie ein gewisses Potenzial an Schülern und Lehrern hatten, wurde an ein separates Schulgebäude gedacht. So auch 1908 in Halle im Gebäude des Stadtgymnasiums geschehen.

Der Direktor des Stadtgymnasiums, Dr. Franz Friedersdorff, gründete 1909 im Schulgebäude in der Sophienstraße das Reformrealgymnaium und war ihr erster Direktor. Der Gebäudetrakt an der Luisenstraße wurde von den Schülern des Reformrealgymnasiums genutzt. Der dortige Eingang war nur für diese Schüler gedacht (Eingang ist heute verschlossen). Der erste und zweite Jahresbericht beider Schulen ist noch vereint und wird vom Schuldirektor Friedersdorff für beide Schulen in einem Heft herausgegeben (Heft 1909/10 als 42. Jg. des Stadtgymnasiums und 1. Jg. des Reformrealgymnasiums). Als Lehrgegenstände werden für das "Reform-Realgymnasium" angegeben: Religion, Deutsch, Latein, Französisch, Englisch, Geschichte und Geographie, Mathematik und Rechnen, Physik, Chemie, Naturbeschreibung, Schreiben, Zeichnen, Turnen, Singen und Linearzeichnen. Für das Stadtgymnasium sind es: Religion, Deutsch, Lateinisch, Griechisch, Französisch, Geographie und Geschichte, Mathematik und Rechnen, Physik, Naturkunde, Zeichnen, Schreiben, Hebräisch, Englisch, Singen und Turnen. Für die Vorschule gab es: Religion, Deutsch, Schreiben, Rechnen, Heimatkunde, Singen und Turnen.  Auch die Religions-, Staatsangehörigkeit und Heimatverhältnisse werden im Jahresbericht aufgeführt. Für das Reformrealgymnasium wird für den Stichtag 1. Februar 1911 angegeben: 135 evangelisch, 2 katholisch, 10 jiddisch, keine Dissidenten; 143 Schüler aus Preußen, 2 nichtpreußische Reichsangehörige, 2 Ausländer; 125 Schüler aus dem Schulort und 22 von außerhalb (Bezeichnungen sind aus dem Jahresbericht übernommen).

In den drei, im Besitz des historischen Schularchiv der IGS befindelichen Jahresberichten des Reformrealgymnasiums, findet man auch folgendes interessante Detail:  "Am folgenden Tage fand in der Aula des Stadtgymnasiums vormittags um 11 Uhr die Einführung des Unterzeichneten [Erg. B. Budnik: gemeint ist Dr. Georg Hanf*] statt. ... Wie schon in der Feier geschehen,  so sei auch an dieser Stelle nochmals dem bisherigen Leiter der neuen Anstalt, Herrn Geheimrat Dr. Friedersdorff, im Namen der Schule der herzlichste Dank ausgesprochen für die Mühe und Arbeit , der er mit Gründung und Neueinrichtung derselben auf sich genommen hat." (Jahresbericht des Reformrealgymnasiums i. E. ... Ostern 1912 bis Ostern 1913 erstattet von dem Direktor Dr. Georg Hanf, Halle, Gebauer-Schwetschke, 1913, S. 15/16)

Weiter heißt es im folgenden Jahresbericht: "Das Jubiläumsjahr 1913 ist für die Geschichte der jungen Anstalt ein besonders wichtiges. Vollzog sich doch zu Beginn die Übersiedlung in das eigene schöne Heim in der Friesenstr. 3/4, und der Schluß des Schuljahres mit der ersten Schlußprüfung der Untersekundaner hat die staatliche Anerkennung der Schule gebracht. Der Umzug aus Sophienstraße 37 war bereits in den Osterferien bewerkstelligt worden, so daß das neue Schuljahr am 3. April im Neubau mit der Aufnahme der angemeldeten Schüler eröffnet wurde ... Am 5. April fand dann die feierliche Einweihung statt. Lorbeerbäume grüßten am Eingang auf den Treppen die Gäste, in der Aula selbst hatte man auf Ausschmückung verzichtet, damit sie in ihrer ernsten Schönheit durch sich selbst auf den Eintretenden wirken konnte."
Unter "VI. Schenkungen, Stiftungen und Unterstützungen von Schülern" im genannten Heft heißt es auf den Seiten 26/27: "Wie bereits bei der Einweihungsfeier berichtet wurde, hatte sich ein Elternausschuß gebildet, um die Schule bei ihrer Einweihung ein Geschenk zu überreichen. Dem rührigen Eifer der dabei beteiligten Herren gelang es, eine Summe von über 1663 M. zusammenzubringen. Davon wurden 1600 M.  zum Ankauf eines Kaiserbildes verwendet, das einen prächtigen Schmuck für die Aula abgibt, der Rest ist einstweilen zur Verfügung der Anstalt bei der Mitteldeutschen Bank angelegt worden ..."  Andere Zeiten, andere Sitten. Und damit trennen sich die Entwicklungslinien der beiden Schulen.

Die Beschreibung der Aula in iherer "ernsten Schönheit" kann - und damit sind wir wieder bei der Buchlesung von Willhem Bartsch im Jahre 2011 - nur beigepflichtet werden. Vergleichen wir die Räumlichketen in der ehemaligen Oberrealschule, dem Stadtgymnasium und dem Reformrealgymnasium, so muss eindeutig der Aula in der heutigen Sek-Reil-Schule das Prädikat "schönste Aula" zuerkannt werden.

Zu letzt sei noch auf eine "lustige" Formulierung des Jahresberichtes von 1913/14 verwiesen: "Auf die Schäden, die den Schülern unter Umständen durch Kinematographentheater [Kinos in unsererm heutigen Sprachgebauch - Erg. B. Budnik] und Schundliteratur erwachsen, sei an diese Stelle noch einmal besonders hingewiesen." [S. 28]  Wenn Dr. Georg Hanf die heutige Zeit kennen würde ... 

Es gibt noch eine weitere Schnittstelle zwischen den beiden Schulen. Bodo Welker* schreibt in seinem Buch "Neun Jahre eines Schülerlebens - 1939 - 1948 Ein Erlebnisbericht": "Inzwischen war der 1. Oktober [1945] herangekommen und mit ihm der Neubeginn des Schulunterrichts. Bedingt durch das Ende des 'Großdeutschen Reiches' und die Besetzung Deutschlands durch die alliierten Großmächte war der Schulunterricht über einen Zeitraum von sechs Monaten ausgefallen. Da der Unterricht schon davor, zwischen Weihnachten 1944 und dem Einmarsch der Amerikaner in Halle im April 1945, nur auf Sparflamme gelaufen war, war der Lehrstoff der Obertertia, in der wir uns bei Kriegsende befanden, bei weitem nicht abgedeckt worden. Zudem war der Beginn des neuen Schuljahres für alle Schulen von Ostern auf das Ende der Sommerferien verlegt worden.  Eine Folge all dieser Ereignisse war, dass ein Kurzschuljahr vom 1. Oktober bis Weihnachten 1945 eingeführt wurde, in dem der noch fehlende Lehrstoff des abgebrochenen Schuljahres aufgearbeitet werden sollte. Um den Anschluss an den neuen Schuljahresturnus zu ermöglichen, wurde ein weiteres Kurzschuljahr von Januar 1946 eingeführt, für uns [den Schülern der Christian-Thomasius-Schule] also das sechste Oberschuljahr, in dem wir den Lehrstoff der ehemaligen Untersekunda erarbeiten sollten. ... Da einige Schulen in Halle von der sowjetischen Militär-Administration beschlagnahmt worden waren, mussten manchmal zwei Schulen in einem Schulgebäude zusammengelegt werden. Das bedeutete, dass die beiden Schulen Schichtunterricht hatten. ... Auch wir waren durch die Beschlagnahmung unseres Schulgebäudes, des Stadtgymnasiums, davon betroffen und teilten uns mit der ehemaligen Friedrich Nietzsche-Schule , jetzt Friedrich-Engels-Schule, deren Gebäude. Unterricht war entweder von viertel vor acht bis viertel vor eins oder von ein Uhr bis sechs Uhr abends. Samstags hatten wir von acht bis viertel nach zehn oder von halb elf bis ein Uhr Unterricht, also immer drei Schulstunden. ... Jedenfalls lernte ich, nachdem Russisch als Unterrichtsfach anstelle von Französisch an den Schulen in den Lehrplan aufgenommen war, mit Eifer die russische Sprache. ... Mit dem Ende der Weihnachtsferien begann im Januar 1946 das zweite Kurzschuljahr, das bis zu den großen Ferien im Sommer dauern sollte ... Zur Reform des Schulsystems gehörte auch die Einführung der Koedukation an den Schulen der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands. Das bedeutete, dass Jungen und Mädchen gemeinsam in den jeweiligen Jahrgangsstufen unterrichtet wurden. ... So waren die Ina-Seidel-Schule, eine Oberschule für Mädchen, mit der Friedrich-Engels-Schule, Oberschule für Jungen, zusammengelegt worden. Auch wir wurden im Gebäude der Friedrich-Engels-Schule unterrichtet. In unserer eigenen Schule, der Christian-Thomasius-Schule, Oberschule für Jungen, war die Privatschule Dr. Busse - Dr. Zander aufgegangen, die jedoch auch eine reine Jungenschule gewesen war. Wir blieben also unter uns Jungs. Das war aber für uns Sechzehnjährige kein erstrebenswerter Zustand. ... Mit Beginn des Schuljahres im Januar 1946, jetzt sechste Klasse, ehemals Untersekunda, wurden die Klassen dieser Jahrgangsstufe geteilt. Jeder Schüler musste sich entscheiden, ob er in den letzten drei Schuljahren bis zum Abitur den mathematisch-naturwissenschaftlichen Zweig oder den sprachlich-kulturhistorischen Zweig besuchen wollte. ... Ich war jetzt siebzehn Jahre alt und in der ehemaligen Obersekunda im vorletzten Schuljahr, das Ende August begonnen hatte. ... Wir hatten im sprachlichen Zweig sechs Stunden Russisch und je drei Stunden Deutsch, Englisch und Latein, mit Nebenfächern achtundzwanzig Unterrichtsstunden pro Woche. ... In der sowjetischen Besatzungszone war das Schulwesen weiter reformiert worden. Alle Schulen liefen unter dem Oberbegriff "Deutsche Einheitsschule", mit dem jeweiligen ehemaligen Eigennamen als Zusazt. Die Einteilung der Schulklassen war vereinfacht worden. Ich war als Primaner in Klasse 12 versetzt worden (12. Schuljahr). Außerdem waren wir, die Schüler der Christian-Thomasius-Schule wieder umquartiert worden. Wir gingen jetzt in die Adolf-Reichwein-Schule, die wir uns mit den dortigen Schülern im Schichtunterricht teilten. ... Wir kamen uns inzwischen vor wie ein Haufen heimatloser Wanderschüler, die durch die Stadt getrieben wurden: Von der Chrristian-Thomasius-Schule [in der Sophienstr. 37] in das Moritzburg-Museum, von dort in die Friedrich-Engels-Schule und nun in die Adolf-Reichwein-Schule [Torstr.]."  Hier endet also ein weiterer Abschnitt der Verbindung der beiden Schulen.

Weiterführende Links:
>> Herdergymnasium Halle
>> Chronik der Schule (Wiki)

[Bk 18-11-11]    

Wilhelm Bartsch vor der Buchlesung 

Auf die Gründungsschule, das Reformrealgymnasium, wird in der Aula des Herdergymnasiums hingewiesen 

DIE ENTWICKLUNG DES REFORMREALGYMNASIUMS INDEN ERSTEN JAHREN

Der Beweis: der erste Schuldirektor (Friedersdorff) war gleichzeitig Direktor von zwei Schulen: vom Stadtgymnasium und dem gerade gegründeten Reformrealgymnasium (hier Jgemeinsamer ahresbericht) 

Der Jahesbericht von 1912/13 wird schon vom neuen Schuldirektor, Dr. Hanf, herausgegeben, obwohl die Schule immer noch kein eigenes Gebäude hatte. Die Bedeutung des Kürzels "i. E." ist unklar. 

* Bodo Welker ging ab 1939 in die Christian-Thomasius-Schule, die Nachfolgeschule des Stadtgymnasiums. Bis 1944 waren die Schüler in unserem Schulgebäude untergebracht. Dann wurde die Schule ausgelagert und das Haus zu einem deutschen Lazarett umfunktioniert. Daraus wurde nach Kriegsende ein sowjetisches Lazarett. Die Christian-Thomasius-Schule existierte bis 1948. Bodo Welker gehörte zum letzten Jahrgang, der unter diesem Schulnamen das Abitur machte.  (Das Erinnerungsbuch von Herrn Welker, aus dem links zitiert wurde, kann im historischen Schularchiv der IGS ausgeliehen werden)

schulgeschichte(at)igs-halle.de  

* Dr. Georg Hanf, Dir. des Reformrealgymnasiums, wohnte - lt. Halleschem Adressbuch von 1930 - in der Magdeburger Str. 40, Ergeschoss.