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DAS SCHICKSAL JÜDISCHER RECHTSANWÄLTE, DIE IHR ABITUR AM STADTGYMNASIUM MACHTEN

Das von der Rechtsanwaltskammer Sachsen-Anhalt herausgegebene Büchlein "Anwalt ohne Recht" von G. Prick gibt über den beruflichen Werdegang einiger weiterer jüdischer Absolventen des Stadtgymnasiums Auskunft.   
Ein Abgleich des Riehmschen Adressverzeichnisses der Abiturienten des Stadtgymnasiums mit dem Personenverzeichnis des oben genannten Buches ergab fünf Übereinstimmungen:
  • Dr. Max-Heinrich Czarnikow
    Abiturient Nr. 1217 von Ostern 1918
    05.05.1900 Halle - ???
    wohnte Jägerplatz 16
  • Dr. Julius Fackenheim
    Abiturient Nr. 676 von Ostern 1902
    20.04.1884 Halle - 1970 Aberdeen (England)
    wohnte Wettiner Str. 17 (heute Karl-Liebknecht-Str.)
  • Fritz Herzfeld
    Abiturient Nr. 1204 von Michaelis 1917
    11.06.1898 Halle - ???
    wohnte Seydlitzstr. 22
  • Dr. Albert Müller
    Abiturient Nr. 532 von Ostern 1897
    14.03.1878 Halle - 03.06.1942 Vernichtungslager Sobibor
    wohnte Zeppelinstr. 21 (heute Albert-Schweitzer-Str.)
  • Fritz Pinthus
    Abiturient Nr. 770 von Michaelis 1905
    15.09.1887 Halle - ???
    wohnte Marktplatz 23
Biografische Angaben zum beruflichen Werdegang und der schrittweisen Ausgrenzung bis zur Emigration oder physischen Vernichtung während der NS-Zeit findet man in der Broschüre. 

Es lassen sich zwei parallele Entwicklungslinien der Ausgrenzung jüdischer Rechtsanwälte sowie aus dem öffentlichen als auch aus dem wirtschaftlichen Leben dokumentieren.1933, sofort mit der Machtergreifung beginnend, begannen die Maßnahmen zur "'Entjudung' von Verwaltung, Justiz und Anwaltschaft" (S. 9).  Nach dem Reichstagsbrand am 28.02.1933 wird die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat erlassen, die auch zur Verhaftung jüdischer Rechtsanwälte führt. Es folgt am 28.03.1933 die Bildung von Aktionskomitees zur Durchführung eines reichsweiten Boykotts jüdischer Geschäfte und Anwälte zum 01.04.1933. Auch für Halle ist nachgewiesen, dass an diesem 1. April vor den Anwaltskanzleien jüdischer Rechtsanwälte SA-Posten standen (S.11). Am 08.04.1933 ergeht eine "Richtlinie" über den Umgang mit jüdischen Rechtsanwälten.  Am 7. April 1933 wird das berüchtigte Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums erlassen. Es soll die sogenannten nichtarischen Beamten und Rechtsanwälte ausschalten. Hier gab es anfangs noch Ausnahmeregelungen für jüdische Frontkämpfer des I. Weltkrieges und sogenannte Alt-Anwälte (Zulassung musste vor dem 1.8.1914 erfolgt sein). Ab April 1933 werden nichtarische Referendare nicht mehr zugelassen. Aus den Anwaltsvereinigungen werden jüdische Rechtsanwälte ausgeschlossen.  Ab Oktober 1933 müssen noch zugelassene jüdische Anwälte andere Anwaltszimmer nutzen als die arischen Anwälte. 
Im Jahre 1935 verlieren die jüdischen Anwälte durch die Nürnberger Gesetze und das Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre ihre staatsbürgerlichen Rechte (S. 20). Im November 1935 verlieren die noch tätigen jüdischen Rechtsanwälte endgültig ihre Notariate. Bis zum 30.11.1938 erfolgt der endgültige Ausschluss aus der Anwaltschaft. Als die letzten in Halle zugelassenen jüdischen Rechtsanwälte werden für das Jahr 1938 Kurt Bauchwitz (nicht zu verwechseln mit dem Schriftsteller Kurt Bauchwitz, der das Stadtgymnasium besuchte) und Adolf Goldberg genannt. Juden dürfen ab nun in Deutschland nur noch von sogenannten Konsulenten beraten und vertreten werden, die weder im Talar auftreten dürfen noch den größten Teil ihrer Einnahmen behalten dürfen (S. 22). Nach der Reichsprogromnacht am 09.11.1938 werden auch Rechtsanwälte in Schutzhaft genommen. Danach haben sie die Judenvermögensabgabe zu leisten (gilt nachweislich auch für Julius Fackenheim und Albert Müller). Ab 1.1.1939 haben die jüdischen Konsulenten - wie alle Juden - die zusätzlichen Vornamen "Israel" bzw. "Sara" zu tragen. Diese müssen auch auf den Kopfbögen der Rechtsanwälte erscheinen (S. 23). Ab September 1941 ist der "Judenstern" zu tragen. 
In der Broschüre von Georg Prick wird besonders auf die verwerfliche Tätigkeit des naionalsozialistischen Präsidenten der Rechtsanwaltskammer des OLG Naumburg, Dr. Erwin Noack und seines Stellvertreters Dr. Kuhlmey verwiesen. Es heißt dort weiter: "Nach dem 2. Weltkrieg praktizieren Dr. Noack in Kiel und Dr. Kuhlmey in Stuttgart als Rechtsanwälte. Angefeindet, bleiben ihre Taten jedoch ungesühnt." (S. 24)      

Das oben genannte Buch endet mit den Worten: "Der Blick zurück in die damalige Zeit ist zugleich ein Blick in den Abgrund deutscher Geschichte. Möge die Erinnerung zu Toleranz und wechselseitiger Achtung aufrufen." (S. 111)

 [Bk 03-03-12]

(ausleihbar in der ULB Halle) 

Quelle: "Anwalt ohne Recht" von G. Prick, Rechtsawaltskammer von Sachsen-Anhalt, Magdeburg 2010