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POSTKARTE EINER SCHÜLERZEICHNUNG (?) VOM STADTGYMNASIUM

Frau H. Köstlin, deren männliche Vorfahren Schüler des Stadtgymnasiums waren, war so freundlich, uns unlängst eine alte Postkarte aus dem Dokumentenbestand ihrer Vorfahren zu schicken, auf der eindeutig unser Schulhaus zu erkennen ist. Die Postkarte ist unbeschrieben und ohne Zeitangabe versehen, wenn man von der Angabe "11. Sept." im Ehrenkranz absieht. Wie ist der Inhalt zu deuten? 

 

links oben: Wandbild mit Zeppelin über der Pauluskirche
Im September 1913 war in Halle ein "Zeppelintag". Dies war ein herausragendes Ereignis für die Hallenser. Es ist bekannt, dass Gottfried Riehm auf das Dach der Schule mit seiner Fotoausrüstung stieg und Fotos vom Zeppelin über dem Wasserturm Nord und über der Pauluskirche machte. Es ist anzunehmen, dass diese Fotos in der Schule gezeigt wurden bzw. dass nach dem Ereignis Schülerzeichnungen dazu angefertigt wurden. Also muss die Zeichnung, die als Postkarte herausgegeben wurde, nach dem September 1913 entstanden sein.

Motiv hinter dem Fenster: die 5 Türme vom Markt
Wahrscheinlich als eindeutiges Kennzeichen der Stadt Halle. Natürlich konnte man die Türme von der Schule aus nie sehen.

"10" auf der Schulbank: unklar

Heizkörper unter dem Fenster: um 1900 wurde in der Schule eine Dampfheizung eingebaut.

Fressnapf (?) auf dem Fußboden: als eine mögliche Interpretation kann dies ein Hinweis auf das arme Leben der Schüler sein, die wie ein Hund aus dem Blechnapf fressen müustn.

links unten: Namenskürzel "L.H."
Ostern 1916 machte ein Schüler namens Lothar Herberer, wohnhaft in der Ludwig-Wucherer-Str. 6, am Stadtgymnasium sein Abitur. Er wurde Dr.phil. und Flugmereorologe am Flughafen Halle-Leipzig. Also einer, der sich für das Fliegen interessierte. Da er Ostern, während des Krieges also, das sogenannte „Kriegsabitur“ machte (verkürzte Abiturzeit), müsste er zum 11. Sept. 1915 die Schule verlassen haben (rechte Seite ob im Kranz), wird aber als Abiturient von Ostern 1916 im Riehmschen Adressverzeichnis gelistet. Da ist also etwas unklar, um nicht zu sagen, ein Widerspruch. Einen weiteren Abiturienten mit dem Kürzel „L. H.“ gibt es nach 1913 im Stadtgymnasiums nicht. Es wäre noch ein Abgänger als „Einjährig-Freiwilliger“ möglich gewesen (diese haben kein Abitur gemacht, sondern vorher die Schule verlassen).

oben rechts: Schulgebäude von vorne

rechts in der Mitte: möglicherweise ein Schüler, der noch kein Abitur hat, verabschiedet einen Abiturienten.

rechts in der Mitte: ein Abiturient im Wagen verlässt freudig die Schule; die Schulzeit ist geschafft (das Band mit der lat. Aufschrift "fini curarum" könnte "Ende der Sorgen" heißen).

Die Gegenüberstellung der beiden Darstellungen links und rechts, gekennzeichnet mit "einst" und "jetzt" kann als Vergleich von Lebenssituationen verstanden werden (der arme gestresste büffelnde Schüler und der freudige gekränzte Abiturient). 

[Bk 15-11-13]