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HALLE UND DIE SCHULE IN DER ZEIT DES I. WELTKRIEGES

Die hundertste Wiederkehr des Beginns des I. Weltkrieges lässt uns auch über die Schule in dieser Zeit nachdenken.

Im April 1918, also im letzten Kriegsjahr, feierte das Stadtgymnasium sein 50. Jubiläum. Gottfried Riehm hielt die Gedenkrede. Einige Sätze aus der  Gedenkbroschüre, die Bezug zum Kriege haben, sollen hier zitiert sein: 
"Der 23. April 1918 war für unsere Schüler ein schulfreier Tag! Fahnen wehten vom Gymnasialgebäude, und eine Doppelreihe von Lorbeerbäumen und Palmen empfing den Eintretenden im Vestibül und geleitete ihn an der lorbeerbekränztne Erinnerungstafel Nasemanns vorüber bis hinauf zur Aula. Auch diese war festlich mit Fahnen, Tüchern und Blattpflanzen geschmückt, und rechts und links des Haupteingangs waren an der Wand Ehrentafeln mit den Namen der gefallenen Lehrer und Schüler aufgehängt, von Lorbeer umrahmt. ... Aber der Feier dieses Gedenktages hat der Krieg enge Grenzen gesetzt. Und doch wirft gerade der Krieg einen leuchtenden Schein auf die Feier dieses Tages herüber. Es sind unsere Kameraden und Brüder, sind Lehrer und Schüler auch dieser Schule, die draußen an den Schlachtfronten kämpfen, und die Ruhmeslorbeeren, die sie draußen pflücken, ehren auch uns und unsere Anstalt. Den Streitern unsern ersten Gruß! - Die Versammlung hat sich erhoben - Und den Toten unser feierliches Gelübde, treu festzuhalten und weiterzuschaffen an dem, wofür Sie ihr Leben ließen. Am Eingang dieser Aula sind heute zum ersten male zwei Ehrentafeln angebracht, die die Namen der auf dem Felde der Ehre gefallenen drei Lehrer und über 120 Schüler nennen, die dieser Anstalt angehört haben. Wenn einst der Friede kommt, sollen diese Tafeln in Erz gegossen werden, und die Schüler der Primen werden es sich zur Ehre rechnen, diese Ehrenmale alljährlich mit dem Lorbeer zu schmücken. Auch werden wir die Namen dieser Helden und ihre Bilder in einem goldnen Buche sammeln, den Gefallenen zur Ehre, den künftigen Geschlechtern zur Nacheiferung. Wir grüßen die Toten ..."
An anderer Stelle heißt es weiter: "Der frühere Abiturient, Kaufmann Wolfgang Kohlschütter, hat aus dem Felde 300 M zum Schmucke des Stadtgymnasiums übersandt; sie sollen mit zur Anschaffung der bronzenen Ehrentafeln unserer Gefallenen verwandt werden."
In der Riehm-Rede heißt es: "Nie wird aus dem Gedächtnis derer, die es erlebt haben, die Erinnerung daran verschwinden, mit welcher Selbstverständlichkeit, mit welcher Begeisterung damals im August 1914 unsere Schüler sich zu den Fahnen drängten. Konnte man bei diesem Regiment nicht ankommen, so versuchte man es bei dei jenem, konnte man als Kriegsfreiwilliger nicht eingestellt werden, so meldete man sich als Fahnenjunker, jeder wollte, jeder mußte dabei sein, wo es galt Deutschlands Ehre, Deutschlands Freiheit, Deutschlands Bestand zu schützen. Und da fiel unserm neuen Direktor die beneidenswerte Rolle zu, daß er selbst als Offizier seinen Schülern mit dem Tatbeweis der Vaterlandsliebe vorangehen durfte. Das Abiturientenexamen am 4. August mußte ja noch erledigt werden, aber dann zog er hinaus. Unvergesslich wird es euch bleiben, wie er euch am Donnerstag den 6. August auf dem Schulhofe versammelte und von der südlichen Hoftreppe aus die letzten begeisterten Worte an euch richtete. Im Rekrutendepot bei Mainz hat er auch Lehrer und Schüler unserer Schule in straffem Dienst zu tüchtigen Kämpfern vorgebildet, und im April 1915 rückte er selbst ins Feld, an die Ostsfront, und beteiligte sich an den Kämpfen  ... Am 16. August setzte eine schwere Verwundung ... seiner kriegerischen Tätigkeit zunächst ein Ziel. Als Hauptmann, geschmückt mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse, kehrte er aus dem Lazarett nach Halle zurück, führte hier noch das Rekrutendepot des I. Ersatzbataillons unseres Füsilier-Regiments und nahm dann am 1. November 1916 seine Tätigkeit beim Stadtgymnasium wieder auf ... Denn mit dem Direktor zogen damals noch 11 Lehrer ins Feld. Drei von ihnen ... haben ihre Treue gegen das Vaterland mit dem Tode besiegelt. In der Folge wurden noch 7 weitere Lehrer eingezogen. Von den Schülern aber rückten bereits 1914 nicht nur die 48 Abiturienten ins Feld, sondern auch 12 Schüler aus Unterprima und Obersekunda, denen im Laufe der Jahre noch viele, viele gefolgt sind. Im Ganzen sind direkt aus der Schule 145 Abiturienten und 41 andere Schüler ins Heer, beziehungsweise in den Hilfsdienst eingetreten. Was sind dagegen die 2 Lehrer und 5 Schüler, die 1870 von unsrer Schule gegen Frankreich entsandt worden sind! 27 von euern Kameraden, die so begeistert fürs Vaterland hinausgezogen sind, deckt heute schon die Erde! Ganz besonders schwer ist jene Generation betroffen, die am 4. August 1914  die Reifeprüfung bestanden hat. Von den 16 leben noch 7! ... Von den 1235 Abiturienten, die unser Stadtgymnasium insgesamt erzogen hat, sind, soviel bisher bekannt geworden ist, 111 den Heldentod gestorben! ..."
Über das Ende der Veranstaltung wird folgendermaßen berichtet:
"Ein von der ganzen Versammlung begeistert aufgenommenes dreifaches Hurra für unsern geliebten Kaiser und König, dem wir Treue geloben bis in den Tod, und der Gesang des altniederländischen Dankgebets endete die stimmungsvolle Feier".
Über eine abendliche Veranstaltung wird dann im letzten Absatz der Broschüre berichtet: "Am Abend versammelten sich etwa 70 ehemalige Abiturienten, die augenblicklichen Primaner und Obersekundaner, Direktor und Lehrer der Anstalt zwanglos bei einem Glase Bier im Roten Ross und tauschten noch manche ernste und heitere Erinnerung aus. Eine launige Rede des Herren Geheimrat Dr. Biedermann klang aus in ein Hoch auf das deutsche Vaterland, dem wir Sieg und Frieden wünschen. 'Deutschland, Deutschland über alles' wurde im Anschluß daran stehend gesungen. Mit einem 'Auf Wiedersehen bei der Friedensfeier des Stadtgymnasiums!' trennte man sich." 
(zitiert aus: Erinnerungsfeier an das fünfzigjährige Bestehen des Stadt-Gymnasiums zu Halle (Saale) - 1868 - 23. April - 1918"; ein Originalexemplar befindet sich im historischen Schularchiv der IGS)
Ob es eine "Friedensfeier" im Stadtgymnasium nach dem Kriegsende gab ist nicht bekannt. Erschreckend aber, wie weit zumindest die offiziellen Vertreter der Schule wenige Monate vor dem Kriegsende von der Realität entfernt waren und die sinnlosen Opfer der Schüler, die von der Schule weg direkt zum Kriegsdienst eingezogen wurden und gefallen sind, verklärten. Statistisch gesehen ergibt sich folgendes Bild: Von 5 Lehrern, die in den Krieg zogen, kehrte einer nicht lebend zurück. Aber von 3 Schülern des Abiturientenjahrgangs 1914 waren es zwei, die nicht zurück kehrten (Todesrate unter den eingezogenen Lehrern 18%, aber unter den direkt von der Schule aus eingezogenen Schülern insgesamt 65% - damit wurden die Schüler regelrecht "verheizt").
Über das Aussehen und den konkreten Inhalt der "Ehrentafeln" sind uns keine Dokumente bekannt. 

Eine Weiterbildungsfahrt nach Flandern/Belgien zu Stätten des I. Weltkrieges, an der drei Lehrer der IGS.Halle teilnahmen, führte auch nach Ypern, dem symbolhaften Ort für "industriealisierten Krieg", Krieg mit Massenvernichtungswaffen (Giftgas).

Quellenangaben:
Foto 1: Pharus-Stadtplan Halle 1918 - Ausschnitt (Quelle
Foto 2: Adressbuch Halle 1918 (Quelle)

Weitere Links:
- Über eine Ausstellung im Stadtarchiv (MZ-Artikel). Papierkrieg – Der I. Weltkrieg und das Stadtleben in Zeugnissen der Zeit
[3 Fotoalben von Karl Riehm, Abgänger des Stadtgymnasiums, werden dort gezeigt]
Ausstellung in der MLU: Trotz des Krieges! Die Universität Halle im I. Weltkrieg
- Datenbank "Verlustlisten I. Weltkrieg" online
- EU-Gipfel in Ypern: Flandern Fields (Flandern-Fields-Museum in Ypern in deutsch)
Broschüre des Volksbundes für Kriegsgräberfürsorge e.V. zum Downloaden: "100 Jahre Erster Weltkrieg - Gegen das Vergessen. Für gemeinsames Gedenken!" sowie "Alltag und Propaganda"
[der Volksbund ... führte die oben genannte Fahrt nach Flandern durch]
- The Ypres Salient Battlefields (engl.)
- Das Jugendhostel "Peace Village" in Messines (Flandern; engl.) und das Denkmal für den "Weihnachtsfrieden" von 1914 mit der Aufschrift "Stille Nacht, heilige Nacht ..."; die ganze Geschichte kann man hier nachlesen
- der Soldatenfriedhof Vladslo mit den in Belgien sehr bekannten Statuen "Trauernde Eltern" von Käthe Kollwitz
 
Hinweis: im historischen Schularchiv gibt es Material vom Volksbund für Kriegsgräberfürsorge e.V. zum Thema Kinder und Krieg bzw. Kindersoldaten. 
Ebenfalls vorhanden ist eine Dokumentation "Der kleine Frieden im Großen Krieg" zum Weihnachtsfrieden an der Westfront 1914 und die Geschichte eines Fußball-Denkmals, das von zwei Schulen initiiert wurde (s. dazu auch die Webseite gleichen Namens).
Denkmal am Peace Village in Flandern

[Bk 28-08-14]