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VON DER ADAM-KUCKHOFF-STRASSE IN DEN WESTEN - DIE GESCHICHTE DER „MAUERKRIEGER“

Durch eine Mail von Herrn Raik Adam aus Berlin wurde die AG Spurensuche der IGS.Halle kürzlich auf eine Reihe sehr ungewöhnlicher Biografien ehemaliger Schüler der POS Fritz Weineck aufmerksam gemacht. Diese Polytechnischer Oberschule befand sich bis zur Wende in unserem Schulhaus, nannte sich dann in die Christian-Thomasius-Schule um und wurde schließlich zum Christian-Thomasius-Gymnasium, das Ende der 90er Jahre auf Grund des Mangels an Schülern aufgelöst wurde. Herr Adam verwies auf das im Februar 2014 veröffentlichte Buch “Mauerkrieger“, in dem die Herausgeber Ole Giec und Frank Willmann die Lebensgeschichten der Hallenser Raik Adam (1964*), Heiko Bartsch (*1965), René Boche (*1964), Gundor Holesch (1965*) und des Bruders von Raik Adam, Andreas (*1969), beleuchten. Vier der Genannten besuchten die gleiche Klasse und verließen 1981 als Zehntklässler die POS Weineck. Sie begründeten in Halle eine Heavy-Metal Szene bzw. wandten sich dem Punk zu, um unter anderem über Musik ihre Opposition zu den herrschenden politischen Verhältnissen zum Ausdruck zu bringen. Wie ging es mit den Vieren nach der Schulzeit weiter? Alle stellten früher oder später einen Ausreiseantrag und verließen Halle und die ungeliebte DDR in Richtung Westen. So geschehen zwischen 1986 und Frühjahr 1989 (R. Adam 1986, H. Bartsch 1989). In Westberlin trafen sich einige der Ehemaligen und andere Ausgereiste wieder. Man war sich schnell einig, dass man etwas „Handfestes“ gegen die Mauer unternehmen müsste. Spektakuläre Aktionen folgten Mitte 1989 und gipfelten darin, mit Molotow-Cocktails einen Wachturm der Grenzer  in Brand zu setzen (die genaue Beschreibung dieser und anderer Aktionen kann im Buch nachgelesen werden).
Nach der Wende konnten in Stasi-Dokumenten nachgelesen werden, inwieweit die Aktivitäten in Halle und Westberlin beobachtet, Zusammenhänge rekonstruiert und „Gegenmaßnahmen“ seitens des MfS geplant wurden (lässt sich alles im Buch ausführlich mit Abbildungen dokumentiert nachlesen).

Die vier, die seit der Schulzeit verbunden waren, gingen später unterschiedliche Wege. Im Anhang des Buches findet man einen Hinweis aus der Sicht des Jahres 2014: der eine wurde „Inhaber eines mittelständischen Unternehmens“, der andere „arbeitsloser Punk und Lebenskünstler“ (s. S. 126).  Das gesamte Spektrum des Möglichen spiegelt sich auch in dieser kleinen Gruppe wieder.

Raik Adam, der übrigens in Westberlin sein in der DDR verwehrtes Abitur nachmachte, ist gern bereit, in der Schule aufzutreten, um über das Leben in Halle und später im Westen zu berichten. Wir bedanken uns bei ihm schon jetzt für die vielen zugesandten Fotos und die Bereitwilligkeit, Fragen zu beantworten. Das Gesprächsangebot sollten wir unbedingt annehmen, da sich gewissen Schlüsselerlebnisse de Jugendlichen in unserem Schulhaus abgespielt hatten. Es wäre ein lebensnaher schulischer Beitrag zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte.

 

Zu den Fotos:
1 -  1978 in der 8. Klasse vermutlich von Gundor Holesch aufgenommenes Foto, das René Boche vor dem Spruch „Es kommt darauf an die Welt zu verändern“ zeigt. Dieser in der DDR oft zitierte Spruch stammte von Karl Marx, dessen Namen aber von den Schüler in „Max“ umgewandelt wurde. Der Originaltext stellt die 11. Feuerbachthese dar: Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt aber darauf an, sie zu verändern. Raik Adam im Originaltext: „Wir haben uns grundsätzlich einen Spaß daraus gemacht, Wandzeitungen und Propagandaparolen zu verändern oder zu beschädigen. Die Schule war ja voll davon. An die Konsequenzen kann ich mich nur noch ungenau erinnern. Zumindest weiß ich noch, dass die üblichen Verdächtigungen beschuldigt wurden, einen der ‚Säulenheiligen‘ des Sozialismus zum ‚Max‘ gemacht zu haben. Also René, Gundor, Heiko und ich. Was haben wir uns dabei gedacht? Wenn wir uns schon den Staatsbürgerkundeunterricht antun mussten, war das unsere Art, uns kreativ zu verweigern. Die verstanden jedenfalls keinen Spaß!“ (zitiert aus einer Mail an B. Budnik).

5 – Abschlussjahrgang 10 1981 an der POS Weineck (links mit Sonnenbrille René Bartsch und in der Bildmitte mit Stirnband Raik Adam)
3 – Das Schulhaus damals
4 –Klassenfoto in einem Fachkabinett in der Schule aufgenommen (Raik Adam hinten in der Mitte)
6 – Buchcover „Mauerkrieger“ (ist im historischen Schularchiv vorhanden)
7 – 1989 am Checkpoint Charly in Westberlin: Dirk Mecklenbeck (war nicht an der POS Weineck), Raik und Andreas Adam (Andreas Adam ist der jüngere Bruder und war ebenfalls Schüler der Schule und wurde 1989 ausgebürgert) und Heiko Bartsch.
2 – „Die Adam-Kuckhoff-Straße in Halle – Lebensmittelpunkt der Familie Adam 1988“ (aus dem Buch S. 16 entnommen)
8 - Autorenlesung vor Schülern

Wir danken Raik Adam für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung der Fotos auf der Schulhomepage.

Das Buch des Chr. Links Verlages "Mauerkrieger", Fotodokumente und ein kurzer Film (Die Schule1989) sind im historischen Schularchiv vorhanden und können gerne ausgeliehen werden. 

[Bk 13-02-16]