Logo IGS

ABITURIENT NR. 1062 VON 1913: WERNER LUEBEN

Aus dem Adressverzeichnis 1937 der Abiturienten des Stadtgymnasiums:
Nr. 1062 von Michaelis 1913
Lueben, Werner: Reichskriegsanwalt, Berlin-Lichterfelde, Gardeschützenweg 102


Karriere eines NS-Richters mit "tödlichem Ausgang"

Eine biographische Skizze

 

Herrn Michael Viebig, Leiter der Gedenkstätte ROTER OCHSE Halle (Saale), verdanken wir die Übermittlung von Informationen zum ehemaligen Abiturienten des Stadtgymnasiums, Werner Lueben (geboren 1894 in Breslau, Tod 1944 durch Suizid in Torgau). Weitere biographische Angaben sind dem Artikel "Generalstabsrichter Werner Lueben - Vom Kriegsfreiwilligen zum Senatspräsidenten" von Claus Lueben, dem Sohn Werner Luebens, entnommen.

  • 1894 als Sohn eines  Militärbeamten in Breslau geboren
  • überzeugter protestantischer Christ und Deutsch-Nationaler
  • begeisterter Soldat und Offizier
  • Jurist und Beamter

Aus dem Beitrag von M. Viebig

  • 1913 Abitur am Stadtgymnasium Halle (Abiturient Nr. 1062)
  • danach Student an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Königlichen vereinigten Friedrichs-Universität Halle-Wittenberg
  • August 1914: als 20-Jähriger Unterbrechung des Studiums und Freiwilliger im Kriegsdienst, Eintritt in das  Feldartillerieregiment 75 in Halle
  • an der Westfront mehrfach verwundet, erhält mehrere Kriegsauszeichnungen  und wird bis zum Leutnant befördert
  • 1919 Eintritt in das Freiwillige Landesjägerkorps Maercker in Halle (im gleichen Jahr beteiligt an der gewaltsamen Niederschlagung der Streikbewegung in Halle)
  • Mitbegründer der Ortsgruppe Halle des „Stahlhelm, Bund der Frontsoldaten“
  • 1920 Eintritt in die Deutschnationale Volkspartei
  • 1920 Abschluss des Studiums in Halle; Abbruch der Promotion
  • Übernahme in den preußischen Justizdienst
  • Arbeit zunächst im Landgerichtsbezirk Halle
  • 1928 Wechsel nach Königsberg (Pr.); dort als Untersuchungsrichter an zahlreichen Hochverrats- und Spionageverfahren sowie an Verfahren gegen NSDAP-Mitglieder beteiligt
  • 1934 aus dem preußischen Justizdienst entlassen und Anstellung als Militärrichter
  • ab 1936 erste Tätigkeitsphase am neu gegründeten Reichskriegsgericht in Berlin
  • nach Kriegsbeginn 1939 Rechtsberater des Oberbefehlshabers Ost in Polen
  • seit 1940 zwei Jahre in der Besatzungsverwaltung im besetzten Frankreich tätig (Oberstkriegsgerichtsrat und Rechtsberater des Militärbefehlshabers in Frankreich)
  • 1942 Rückkehr an das Reichskriegsgericht in Berlin
  • ab 1943 Leitung des 2. Senats
  • 1944 Ernennung zum Generalstabsrichter (entsprach dem Rang eines Generalleutnants)
  • von 1942 bis 1944 wurden von Lueben 111 Urteile gegen 178 Angeklagte gefällt (97 Todesurteile, 41 Freisprüche bzw. Verfahrenseinstellungen, in den sonstigen Verfahren erkannte er auf Gefängnis, Zuchthaus oder Straflager)
  • am 28. Juli 1944 Freitod in Torgau, einen Tag vor Verkündung des Todesurteils gegen zwei katholische Geistliche (P. Friedrich Lorenz und Kaplan Herbert Simoleit), die im Rahmen eines umfangreichen, als „Stettin-Prozess“ bekannten Verfahrenskomplexes gegen Angehörige der katholischen Kirche angeklagt waren
  • NS-Propaganda verheimlichte den Suizid und deutete ihn zum Tod bei einem Bombenangriff um; intern wurde der Selbstmord als Folge  eines "seelischen Erschöpfungszustands" sowie einer "Psychose mit Kurzschlusshandlung" gewertet)
  • Trauerfeier und Parade mit Ehrenwache in Torgau; Einäscherung in Halle und Beisetzung am 8. August 1944 im Familiengrab auf dem Südfriedhof in Halle

Vom 14. bis 20. Dezember 1943 fand in Halle eines der zentralen Verfahren gegen katholische Geistliche (wahrscheinlich im Roten Ochsen) statt. Lueben verurteilte den Hauptangeklagten Dr. Carl Lampert wegen Zersetzung der Wehrkraft und Feindbegünstigung zum Tode und verhängte gegen andere Beteiligte Zuchthausstrafen. Lueben äußerte jedoch Zweifel an denen von der Gestapo vorgebrachten Beweisen. Das abgetrennte Verfahren gegen zwei andere katholische Geistliche – Lorenz und Simoleit – hätte in Torgau ebenfalls mit Todesurteilen, die Lueben hätte aussprechen müssen, enden müssen. Die Forschung geht davon aus, dass Lueben dazu nicht bereit war. Lorenz und Simoleit wurden später in Torgau von anderen Richtern zum Tode verurteilt.

Die drei Geistlichen wurden am 13. November 1944 in Halle mit dem Fallbeil getötet. Sie gelten deshalb in der katholischen Kirche als "Blutzeugen"" (Glaubenszeugen) und wurden in das "Deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts" aufgenommen. Die Urnen der Hingerichteten sind nach dem Krieg in ihre Heimatgemeinden überführt worden. Carl Lampert, der im gleichen Jahr wie "sein Richter" Lueben geboren wurde (1894) wurde 2011 von der katholischen Kirche seliggesprochen. 
Auf dem Südfriedhof (damit auf dem gleichen Friedhof, wo auch "sein Richter" sein Grab fand) befindet sich ein 1966 eingeweihter Gedenkstein für die drei Priester. Vor der Heilig-Kreuz-Kirche in der Gütchenstraße (in dieser Straße einige Häuser weiter wuchs der "Henker von Halle", Reinhard Heydrich, auf) wurde 1994 ein kleines Mahnmal für Carl Lampert, Friedrich Lorenz und Herbert Simoleit errichtet. Auf dieser Stele befinden sich neben den Namen der drei Geistlichen auch der Name ihres Richters, Werner Lueben. 

Weiterführende Links und Quellen:
- Wikipedia-Artikel (https://de.wikipedia.org/wiki/Werner_Lueben)
- Michael Viebig, Lars Skowronski: Werner Lueben. Biographische Anmerkungen zu einem Richter am Reichskriegsgericht. In: Deserteure, Wehrkraftzersetzer und ihre Richter, Marburger Zwischenbilanz zur NS-Militärjustiz vor und nach 1945, herausgegeben von Albrecht Kirschner im Auftrag der Geschichtswerkstatt Marburg e.V., Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen Nr. 74, Marburg 2010, S. 163-179.  

Lars Skowronski, Michael Viebig, Bernd Budnik
[Bk Mai 2016]

 



Fotoquelle: http://www.oocities.org/~orion47/WEHRMACHT/HEER/Richter/LUEBEN_WERNER.html