2008 – Jahr der Mathematik

Über einen Lehrer, der vor 100 Jahren in unserem Schulgebäude Mathematik unterrichtete.
 

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Gottfried Riehm
 (Foto aus dem unten abgebildeten Buch)

Das Stadtarchiv in Halle hat zum 150. Geburtstag Gottfried Riehms (6. März 2008) eine Ausstellung eröffnet. Wer war dieser Mann, über den es einige Veröffentlichungen gibt und zu deren Person schließlich auch eine Ausstellung vom Stadtarchiv gestaltet wurde? Was hat dieser Mann mit der Schule in der heutigen Adam-Kuckhoff-Str. 37 zu tun?

Vor 100 Jahren war er wahrscheinlich einer der prägnantesten Lehrer im Stadtgymnsium Halle, Sophienstraße 37. Riehm war sein Leben lang mit der Schule am heutigen Standort Adam-Kuckhoff-Str. 37 verbunden. Riehms Eltern zogen 1862 nach Halle, da der Vater, Eduard Riehm, als Theologieprofessor an die Universität berufen wurde (1881/82 Rektor der Universität). Die Familie wohnte in der Burgstr. 28. Riehms Eltern sind auf dem Stadtgottesacker begraben; ihr Grab befindet sich in der gleichen Reihe wie das vom ersten Direktor des Stadtgymnasiums, Otto Nasemann.

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Gräber der Fam. Riehm (Eltern G. Riehms) und Nasemann (erster Schuldirektor)
auf dem Statgottesacker

Gottfried Riehm  besuchte die Vorschule und schließlich das neu gegründete Stadtgymnasium, war also 8 Jahre lang Schüler an dieser Schule.  Er legte hier 1876  das Abitur ab (erste Abiturienten gab es an dieser Schule zu Michaelis 1872) und bewarb sich nach dem Studium an der Schule als Lehrer.  Er promovierte 1881 und wurde 1883 als Hilfslehrer (Probelehrer) vom ersten Direktor des Stadtgymnasiums, Otto Nasemann, eingestellt (Nasemann war Direktor von 1868 bis 1889). 1886 rückte Riehm zum ordentlichen Lehrer auf, wurde Oberlehrer und  1903 schließlich Gymnasialprofessor.  1923 wurden Lehrerstellen an halleschen Schulen gestrichen.  Auch Gottfried Riehm ging - gezwungenermaßen in den Ruhestand. Am  25.04.1928 starb er.

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Wohnung Gottfried Riehms in der Reichardtstr. 19 (heutiger Zustand)

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Gottfried Riehms Grab auf dem Laurentiusfriedhof (Am Kirchtor)

Neben Mathematik unterrichtete Gottfried Riehm auch Religion und Naturkunde. 1901/02 hatte Lehrer Riehm z. B. 22 Stunden zu unterrichten, 10 h in Mathematik und 12 h in Naturkunde. Er legte schließlich auch noch  die Prüfung als  Turnlehrer ab und erhielt an der Schule viel Lob für das damals traditionelle Schauturnen, das er zu organisieren hatte. Zu den Festveranstaltungen im Stadtgymnasium (existierte bis 1937) hatte jeweils ein Lehrer einen Festvortrag zu halten. Gottfried Riehm erhielt die ehrenvolle Aufgabe, zum 50-jährigen Bestehen der Schule am 23. April 1918 diese Rede zu halten. Selbige ist  - wie auch das Programm der Festveranstaltung - in einer Broschüre veröffentlicht worden.

In den jährlich von den Schuldirektoren herausgegebenen Jahresberichten (ab 1868 bis 1915 vollständig in der ULB einsehbar) hatte jeweils ein Lehrer der Schule eine umfassende Arbeit zu einem von ihm unterrichteten Thema zu veröffentlichen. 

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Erster Jahresberichts des Stadtgymnasiums  von 1868/69 [aus: Bibliothek der Franckenschen Stiftungen]

Im Jahresbericht von 1910/11  findet man eine Veröffentlichung Riehms  zum Mathematikunterricht in den Mittelklassen am Gymnasium. Er beginnt mit einer Aussage, die wie eine aus der heutigen Zeit erscheint: " Reformvorschläge auf dem Gebiet des Schulwesens sind heutzutage billig wie Brommbeeren. Berufene wie Unberufene  fordern, daß Schule anders werden müsse ..." (S. 27).
In dieser Veröffentlichung gibt es einige interessante didaktische bzw. fachliche Positionen Riehms. Natürlich unterscheiden sich die mathematischen Termini  im Mathematikunterricht von heute im Vergleich zu denen von vor 100 Jahren. Riehm spricht z. B.  von Buchstabenzahlen statt von Variablen und von Ziffernzahlen statt von Zahlen. Er geht auf die bis heute wichtigen binomischen Formeln ein, die von ihm als „Fundamentalformeln“ bezeichnet werden. So wie sie die heutigen Schüler auswendig lernen müssen, wurden auch die Schüler vor 100 Jahren darauf getrimmt. Riehm gibt hier seine Methode Preis: „Um die Formeln selbst einzuprägen lasse ich mich oft einige Wochen lang beim Betreten des Zimmers von der Klasse mit diesen Formeln begrüßen.“ (S. 50)
Das Gottfried Riehm kein Mensch von Traurigkeit (sprich „mathematischer Trockenheit“) war, zeigt folgender von ihm angegebener Dialog: „Welches ist der Unterschied zwischen 8/4 Äpfeln und 2 ganzen Äpfeln?“, fragt Riehm die Schüler. Natürlich ist jedem - hoffentlich - klar, welche Antwort hier erwartet wurde: keiner, denn 8/4 = 2. Aber so nicht bei Riehm: „Falsch. Acht Viertelstückchen lassen sich nicht zwei Wochen lang aufbewahren, 2 ganze Äpfel aber ja.“
Riehm beschreibt in der Veröffentlichung auch ein Problem, dass aus heutiger Sicht ein ganz Aktuelles ist: Welche mathematischen Inhalte sollte im Mathematikunterricht unterrichtet werden? Findet nicht eine Überlastung von Jahr zu Jahr statt? Hierzu Originalton Riehm: „...Grund für Mißerfolge vieler Schüler in unserer Disziplin ... daß es ihnen zu rasch geht. Der Lehrer muss weitergehen, ehe noch das Vorausgegangene allen Schülern zu völligem sicheren Besitz geworden ist. Aus diesem Mißerfolg aber entsteht Unlust – und die weitere Folge ist ... Nichtachtung der Mathematik in weiten Kreisen der Schüler und der Eltern.“ (S. 60) Interessant ist im Jahresbericht des Stadtgymnasiums … (ULB) ein handschriftlicher Zusatz neben dem oben zitierten Text: „Wie wahr!! Wie wahr!!“ So alt/aktuell ist also das Problem. Dass Riehm allerdings von den Schülern auf die Eltern schließt gibt zu denken.

Für die Stadt Halle wurde Gottfried Riehm auf Grund eines Hobbys bedeutsam. Ab 1880  fotografierte er leidenschaftlich gern. In der damaligen Zeit ein durchaus ungewöhnliches Hobby, da eine Kameraausrüstung (großer Kasten mit Stativ) teuer und aufwendig zu transportieren war.  Besonders um 1900 entstand eine Serie von Fotos, die Straßen und Gebäude Halles zeigten. Selbst in den Jahresberichten des Stadtgymnasiums findet Riehms Leidenschaft  Erwähnung. So fuhren  vom 31. Mai bis 4. Juni  1906 40 Schüler „An die Wasserkante“ und Riehm war einer der begleitenden Lehrer. Der Schuldirektor Friedersdorff ewähnt sie mit Hinweis auf Riehms Fotoleidenschaft im Jahresbericht 1906/07: "Die photographische Kunst des Herrn Dr. Riehm hat die Erlebnisse dieser Fahrt in hervorragend schönen Bildern festgehalten." (Anm. Budnik: wo sind diese Bilder???)

Riehm verfügte, dass  seine Fotos nach seinem Tode an die Stadt Halle zu geben seien (die "Negative" stellten Glasplatten dar). 1928 veranlasste das seine Frau Marie. Zu vermuten ist, dass Gottfried Riehm auch in und um die Schule herum Fotos gemacht hatte. In den an die Stadt vermachten Fotos finden sich wenige mit Motiven aus der Sophien- bzw. Luisenstraße (z. B. ist ein Foto von der „weißen Villa“ [1] in der Luisenstr. 1 zu finden, auf dem Schüler auf der Straße zu sehen sind). Im Übergabeprotokoll an die Stadt wurde vermerkt, dass 80 Fotos an das Schulmuseum gegeben wurden. Ob diese noch erhalten sind ist unklar.

Die Grabstätten der Eheleute Riehm und des Sohnes Karl, der ebenfalls am Stadtgymnasium sein Abitur ablegte und in der Stadt Halle ein bekannter Mediziner und Arzt wurde,  sind erhalten geblieben.

Schon zu DDR-Zeiten wurden den Hallensern die historischen Foto-Ansichten derStadt  durch eine Ausstellung in der Moritzburg 1983 und einem Buch dazu bekannt gemacht (s. Abb. unten). Der Stadtarchivar Werner Piechocki hat in einer repräsentativen Ausgabe Anfang der 90er Jahre einiges zur  Wiederentdeckung des Hobbyfotografen aus alten Zeiten getan. Aber: Gottfried Riehm war eben nicht nur (Hobby-)Fotograf, er war "auch" Lehrer am Stadtgymnasium, Sophienstraße 37.  

 

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Hrsg. Werner Piechocki, 1983, Moritzburg/Halle

Ausstellung zu Gottfried Riehm im Treppenhaus des Stadtarchivs (Rathausstr.)
bis zum 4. Sept. 2008

Literatur:

B. Budnik
2008-06-08

Wir suchen Material von und über Schulen, Lehrer, Schüler und Angestellte, die - auch wenn nur zeitweise - mit der Adresse  
Sophienstr./Adam-Kuckhoff-Str. 37 verbunden waren (besonders bis 1990).
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[1]Diese Villa war die sogen. „Heinesche Villa“, in der der Mathematik-Universitäts-Professor Eduard Heine
mit seiner Tochter Anselma lebte; Anselma Heine war schriftstellerisch tätig und gab
das Buch „Mein Rundgang“ 1926 heraus, in dem Halle beschrieben wird)