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BRIEFE UND BERICHTE JÜDISCHER FRONTSOLDATEN AUS HALLE 1914 - 1918

"Gefallene Deutsche Juden - Frontbriefe 1914 . 18"  ist ein Buch, das der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts herausgab, um an die gefallenen jüdischen Soldaten des I. Weltkrieges zu erinnern, die z. T. freiwillig auf deutscher Seite mit viel Patriotismus in den Krieg gezogen waren und diesen nicht überlebten. Herr Rodawald, Kustus des Stadtmuseums, zitierte mit Partnerin aus diesem Buch, gab biografische Informationen zu den Autoren der Briefe bis hin zum Tage ihres Todes. Das Herrn Rodawald vorliegende Buch wurde 1935 in 2. Auflage (6. - 7. Tausend) herausgegeben und ist mit einer handschriftlichen Widmung versehen.

Worin liegt nun der Bezug zum Schulstandort?  Dieser besteht darin, dass am 23.09.1923 in Halle eine Ortsgruppe gebildet wurde, die Julius Fackenheim, Abiturient Nr. 676 des Stadtgymnasiums, leitete. Wie in anderen Artikeln in diesem Bereich schon hingewiesen wurde, war sein Sohn Emil ebenfalls Schüler des Stadtgymnasiums, emigrierte später nach Palästina und wurde ein bekannter jüdischer Philosoph, mit dessen Namen bis heute von der Jüdischen Gemeinde Halle ein Preis vergeben wird.
Die Frontbriefe, die vor allem aus den ersten Jahren des Krieges stammten, verdeutlichen den starlem Patriotismus, den die jüdischen Teilnehmer des Krieges auf deutscher Seite für ihr Vaterland empfanden, der der späteren Nazi-Propaganda über die Juden und ihrer Beziehung zu Deutschland widersprach. Interessant ist, dass dieser Personenkreis von den diskriminierenden Maßnahmen der Nazis in den ersten Jahren nach der Machtergreifung ausgeschlossen war, später aber der Vernichtung ebenfalls zum Opfer fiel.

Leider sind - entgegen der Ankündigung der Veranstaltung - keine Briefe von Hallenser Juden im Buch enthalten.  Uns ist - vor allem durch Berichte von Gottfried Riehm - bekannt, dass im Schulhaus nach Ende des I. Weltkrieges eine Marmortafel mit den Namen der gefallenen ehemaligen Schülern und Lehrern vor der Aula und später im Vestibül angebracht wurde. Ob jüdische Schüler der Schule darunter waren ist nicht bekannt.

Zu beachten ist, dass auf dem abgebildeten Buch auf der linken Seite eine Zeichnung des bedeutenden jüdischen Künstlers Max Liebermann zu sehen ist.

Die Veranstaltung ist Teil der Reihe "Halle liest 2011 - deutsch-jüdische Literatur aus Halle", die von Ingeborg von Lips initiiert wurde.

Quelle: "Gefallene Deutsche Juden. Frontbriefe 1914 -18." Herausgegeben vom Reichsbund Jüdischer Frontsoldaten e.V., 2. erg. Auflage, Berlin Vortrupp Verlag 1935, 94 S.; die erste Aufl. erschien unter dem Namen "Kriegsbriefe gefallener deutscher Juden" >> Das historische Schularchiv der IGS.Halle besitzt eine Neuauflage dieses Buches aus dem Jahre 1961, erschienen im Seefeld Verlag Stuttgart- Degerloch <<

Empfehlenswerte Links:
>> "Das jüdische Vereinswesen [in Hildesheim]" (pdf)

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Ergänzung vom 12. Oktober 2011:
Der Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde Halle, Herr Privorozki, ermöglichte es, sich die Gedenktafel der Jüdischen Gemeinde für die gefallenen jüdischen Soldaten des I. Weltkrieges, die sich in der Synagoge befindet, anzusehen und zu fotografieren (s. Bilder 6 - 9). Ein Abgleich mit dem Riehmschen Adressverzeichnis des Stadtgymnasiums brachte uns die Erkenntnis, dass auch zwei jüdische Schüler des Stadtgymnasiums als Soldaten in den Weltkrieg zogen und dabei ihr Leben verloren. Beide sind auf der Gedenktafel in der Synagoge erwähnt. Dies sind Julius Katz (Abiturient Nr. 659 von Ostern 1908, verstarb am 30.08.1915 im Lazarett in Frankreich) sowie Willi Schlesinger (Abgänger von Ostern 1908; gefallen bei Brimont vor Reims im April 1917).
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Auszug aus dem Buch "Kriegsbriefe gefallener deutscher Juden"
(Neuausgabe von 1961, Seefeld-Verlag; Buch ist im histor. Schularchiv der IGS vorhanden)
Ludwig Hirsch, Unteroffiziersaspirant, 1. Bayer. Ersat-Feld.Art.Reg.; Beruf stud. jur.; geb.: 13.09. 1898 in Nürnberg
"Protzenstellung, 27. September 1918
Meine teuren Lieben! So einen tiefempfundenen Brief wie diesen habe ich wohl noch nicht geschrieben. Alles verloren, das Leben gerettet, das ist der Inhalt der letzten zwei Tage. Das nackte Leben, Uniform, Stahlhelm, Gasmaske, sonst habe ich nichts zurückgebracht. Einzelheiten mag ich euch gar nicht mitteilen. Ich war Tankgeschützführer, habe meine Pflicht und Schuldigkeit bis zum letzten Augenblick getan, wo wir das Geschütz unbrauchbar machten. Mit vier Kanonieren habe ich das Geschütz bedient, drei davon habe ich zurückgebracht. Mein Geschütz wurde mittags 2 Uhr von den Franzosen genommen. Die übrige Batterie stand eine Stunde weiter zurück. Wir waren über zehn Stunden unter der Gasmaske. In unserem Stollen hatten wir vier Gastote. Ich selbst habe ziemlich Gas erwischt und habe sehr mit Atemnot zu kämpfen. Alle 20  Meter mußte ich wieder 10 Minuten verschnaufen. So habe ich denn bis zu unserer Batterie volle 24 Stunden gebraucht. 42 Stunden hatte ich nichts über die Lippen gebracht. Ein langer Jom Kippur! Ihr könnt Euch denken, mit welchen Kräften man zurückkommt. Genau so gut könnte ich schon auf dem Weg nach Paris usw. sein. Jetzt bin ich in der Protzenstellung. Um drei Uhr gehe ich zurück, ich komme sicher ins Lazarett. Seid jedoch nicht ängstlich, etliche Wochen werden die Sache schon wieder ins Gleichgewicht bringen. Wir können unserm Gott nicht genug danken, daß er mich Euch so gnädig erhalten hat ..."

Ludwig Hirsch starb eine Woche später, am 4. Oktober 1918, infolge der Gasvergiftung. 

Ergänzung: onlineprojekt (Aus dem Gedenkbuch des RJF - Liste der im I. WK gefallenen jüdischen Soldaten aus Städten mit dem Anfangsbuchstaben "H" bis "J")

[Bk 07-10-11; Fotos Bk]