ABITURIENT NR. 1131: FELIX HUBERTI ALIAS FELIX KERSTEN (?)
Das Adressverzeichnis der Abiturienten des Stadtgymnasiums von 1937 (ist im historischen Schularchiv vorhanden) listet für Michaelis 1915 den Abiturienten Felix Huberti mit der Nr. 1131 auf. Als Profession wird "Philologe" angegeben. Anstelle der letzten, der Schule bekannten Adresse des Abgängers lesen wir "Wo?". Also war sie nicht bekannt und auch keiner der Ehemaligen konnte dazu Angaben machen.
Erinnern wir uns: Gottfried Riehm führte am Stadtgymnasium das Adressverzeichnis ein, dass als Broschüre erworben werden konnte. Bei kaum einem Abgänger der Schule fehlt eine Adressangabe, obwohl diese mitunter sehr allgemein war (so steht z. B. bei Ernst Ottwalt, der 1934 nach Moskau emigrierte in der Ausgabe von 1937 "im Ausland" [s. Ottwalt-Artikel auf dieser Homepage]). Damit ist das "Wo?" sehr eigenartig.
Erinnern wir uns weiter: Der Schüler Ernst Gottwalt Nicolas, späterer Künstlername Ernst Ottwalt, beschrieb im Buch "Ruhe und Ordnung" [1929, Malik-Verlag] die Zeit der Novemberrevolution in Halle und sein persönliches Desaster, in dieser Zeit die Abiturprüfung am Stadtgymnasium nicht bestanden zu haben und erst nach dem zweiten Anlauf erfolgreich gewesen zu sein. Ursache dafür waren seine Aktivitäten für und im Freikorps. Dadurch wurde er - so beschreibt er es in seinem Buch - indirekt Zeuge des Mordes am Vorsitzenden des Soldatenrates in Halle, Karl Meseberg auf der Hafenbahnbrücke. Die Informationen, die ihm bekannt wurden, teilt er im Buch mit. Der Täter wird steckbrieflich gesucht. Sein Name, Felix Huberti, wird erst später bekannt. Felix Huberti, Abgänger des Stadtgymnasiums, ist zu diesem Zeitpunkt (März 1919) 21 Jahre alt, Ernst Ottwalt, noch Schüler an der gleichen Schule, 18 Jahre alt. Auch Reinhard Heydrich (der "Henker von Halle"), Abgänger des Reformrealgymnasiums, ist im ähnlichen Alter und als "Melder" für die gleiche Organisation tätig. Ob man sich untereinander kannte oder begegnete ist unbekannt. Jedoch werden sich einige Wege später wieder kreuzen.
Schnitt: Werner Neuß, der Sohn des Stadtarchivars von Halle (bis 1933 und dann wieder ab 1945) Erich Neuß, fand im Nachlass seines Vaters Hinweise auf dessen damaligen Jugendfreund Felix Huberti. Dieser verschwand nach dem Mord an Meseberg spurlos (man denke an die Adressangabe im Adressverzeichnis der Schule aus dem Jahre 1937!). Er stellte die Vermutung auf, dass der aus der Zeit des II. Weltkrieges und besonders der Nachkriegsliteratur bekannte "Leibarzt Heinrich Himmers", Felix Kersten, mit seinem verschwundenen Jugendfreund Felix Huberti identisch sei. Felix Kersten ist aber bis heute aus noch einem anderen Grunde in der Nachkriegsliteratur präsent: er soll durch seinen großen (?) Einfluss als Masseur auf Himmler vielen Juden das Leben gerettet haben. Werner Neuß ging beiden Behauptungen nach. In dem 2010 erschienenen Buch "Menschenfreund und Mörder - Himmlers Leibarzt Felix Kersten - Die Lösung eines Rätsels" gibt W. Neuß die Ergebnisse seiner fünfjährigen Recherchen bekannt. Er findet seine These von der Identität Huberti = Kersten mehr bestätigt als widerlegt. Des Weiteren bezweifelt er stark die Angaben Kerstens über die Zahl der von ihm geretteten Juden und weist einen Großteil der von Kersten vorgelegten Dokumente (Kersten ist 1960 verstorben) als von ihm selbst gefälscht zurück. Bekannt ist, dass Kersten gebeten wurde, das Leben Carl Wentzels aus Teutschenthal/Salzmünde zu retten. Wentzel wurde im Zusammenhang mit dem 20. Juli 1944 hingerichtet. Da Kersten im Nachkriegsdeutschland einige Auszeichnungen für sein Tun im Umfeld Himmlers erhalten hatte und in Filmen und Büchern positiv medial bewertet wurde ist dies natürlich starker Tobak. Die immer wieder auftretenden Widersprüche in Kerstens Darstellungen, die auch andere Autoren bemerkt hatten, lassen sich durch Neuß' Nachforschungen in ein schlüssiges Gesamtbild bringen, wenn Huberti und Kersten ein und die gleiche Person sind. Zumindest könnte es so gewesen sein. Wenn es so war, dann ist der Ausgangspunkt für Hubertis (erzwungenem) Identitätswandel der Mord an Meseberg in Halle im Jahre 1919.
1942: Heydrich ist an der Spitze der Naziführung in Berlin angekommen. Huberti/Kersten ist enger Vertrauter Himmlers, also von Heydrichs Vorgesetztem. Beide stehen in keinem guten Verhältnis zueinander. Ottwalt sitzt zu diesem Zeitpunkt in einem stalinistischen Lager in Archangelsk als Politischer in Haft. Im gleichen Jahr wird Heydrich bei einem Attentat getötet. Ottwalt kommt ein Jahr später in Russland im Lager um. Huberti/Kersten stirbt 1960 friedlich auf einer Reise nach Paris, um eine Auszeichnung in Empfang zu nehmen.
Drei junge Männer aus Halle. Darunter zwei Absolventen des Stadtgymnasiums.
Gebrochene Lebenslinien.
Ergänzung vom 20.10.10: Die Lesung mit Werner Neuß im Stadtarchiv fand statt und in der MZ ist ein Artikel zur Veranstaltung publiziert worden. Hier der Link dazu:
http://www.mz-web.de/servlet/ContentServer?pagename=ksta/page&atype=ksArtikel&aid=1286541132325
http://www.mz-web.de/servlet/ContentServer?pagename=ksta/page&atype=ksArtikel&aid=1286541132325
Zu beachten auch der Kommentar von W. Neuß unter dem MZ-Artikel.
Weitere Links:
- Wikipedia-Artikel über Erich Neuß
http://de.wikipedia.org/wiki/Erich_Neu%C3%9F
Weitere Links:
- Wikipedia-Artikel über Erich Neuß
http://de.wikipedia.org/wiki/Erich_Neu%C3%9F
[Bk 11-10-10]