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ERNST OTTWALT - EIN VERGESSENER DICHTER

Frage: Was hat dieses historische Filmplakat mit der Geschichte unseres Schulstandortes wohl zu tun?

Antwort: Einer der beiden Drehbuchautoren war Ernst Ottwalt (Künstlername) bzw. Ernst Gottwalt Nicolas, während der Novemberrevolution in Deutschland Schüler und Abiturient am hallischen Stadtgymnasium. Zusammen mit Bertolt Brecht verfaßte er das Drehbuch zu einem Film, der eine proletarische Berliner Familie um 1931 darstellt, die auf Grund von Wohnungsnot in die Gartenkolonie "Kuhle Wampe" (Filmtitel: "Kuhle Wampe oder Wem gehört die Welt?"; Regisseur Slátan Dudow, Musik Hanns Eisler, Schauspieler unter anderem Ernst Busch und Erwin Geschonnek) am Berliner Müggelsee ziehen muss. Dieser Film wurde 1933 von den Nazis verboten. Auch J.W. Stalin sorgte für eine Nichtveröffentlichung in der Sowjetunion, da er meinte, das deutsche Proletariat würde in einer Art dargestellt sein, die ein Sowjetbürger nie verstehen würde. 

Sehr bewegend ist die Lebensgeschichte des Ernst Ottwalt. Seine hallische Zeit am Stadtgymnasium beschreibt er in kleinen Randnotizen im ersten veröffentlichten Roman "Ruhe und Ordnung". Dieser im Malilk-Verlag in den 20er Jahren veröffentliche Roman spiegelt die Zeit der Novemberrevolution in Halle wider (Buchcover John Hartfield). Ein Junge Mann, Abiturient am Stadtgymnasium, will an den gesellschaftlichen Umbrüchen teilhaben und schließt sich den rechts-konservativen Kräften an. Er bespitzelt "im Auftrage" Sozialdemokraten, Kommunisten und Gewerkschafter, wird indirekt Zeuge des Mordes an Karl Meseberg in Halle (s. Meseberg-Brücke) und ... besteht sein Abitur im ersten Anlauf nicht. Er hat Probleme mit den beginnenden Veränderungen an seiner Schule und schließlich auch mit seinen "Auftraggebern", denn die von ihm bespitzelten Aktivisten bringen ihn mit ihren Argumenten zum Überdenken seiner Position und schließlich dazu, sich linken Künstlern wie Brecht und Eisler anzuschließen. Dieser Wandel, der im Roman zum Ausdruck kommt, bringt ihm einen gebührenden Platz auf dem Index der Nazis ein und er ist damit ein "Ausgestoßener", dessen Werke 1933 ebenfalls der Bücherverbrennung zum Opfer fielen. Der Verhaftung nach dem Reichstagsbrand 1933 entgeht er nur, weil ihn die Nazis mit seinem Künstlernamen auf die Fahndungsliste setzten. Diesen Fehler bemerken sie erst, als er Deutschland schon verlassen hatte. Ottwalt beschließt, mit seiner Frau in die Sowjetunion zu gehen. Im Zuge der stalinschen Säuberungswelle 1936 werden beide auf dem Roten Platz in Moskau verhaftet und unter fadenscheinigen Gründen für 5 Jahre in unterschiedliche Straflager eingewiesen. 1941 wird Ottwalts Frau Waltraud im Rahmen eines geheimen Abkommens mit Nazideutschland "ausgetauscht". Ihr Mann erhält aber eine weitere Strafe und landet schließlich in einem Straflager bei Archangelsk. Die Recherchen von Waltraud Nicolas in den 70er Jahren von Westdeutschland aus nach ihrem Mann bringen nur die Erkenntnis, dass er 1943 im Straflager "Talagi" bei Archangelsk umgekommen sei. 

Das tragische Ende von Ernst Gottwalt Nicolas, dem Abiturienten des Stadtgymnasiums von 1920 (nach der von Gottfried Riehm geführten Abiturientenliste des Stadtgymnasims erhielt er die Nummer 1282; im Adressverzeichnis der Abiturienten, das 1937 herausgegeben wurde, heißt es hinter seinem Namen "im Ausland") , und die wenigen Informationen über seine letzten Lebensjahre in der Sowjetunion führten zu der Idee, den Kontakt zu unserer Partnerschule in Archangelsk zu nutzen, um nach noch existierenden Dokumenten in Archiven von Archangelsk zu suchen, den Ort des Lagers "Talagi" bei Archangelsk zu finden und Informationen über dieses Straflager zusammen zu tragen. Den Stand der Recherchen  werden wir auf einer separaten Projektseite regelmäßig veröffentlichen.

Links
  • Wikipedia-Artikel über Ernst Ottwalt
  • Tucholsky-Artikel über Ernst Ottwalt: Denn sie wissen, was sie tun
  • Über den Film "Kuhle Wampe" auf filmportal.de 
  • Digitale Version von "Ruhe und Ordnung"
  • Die "Göttinger Bücherverbrennung": Über den Autor Ernst Ottwalt
  • Wikipedia: Liste verbotener Autoren während der Zeit des Nationalsozialismus
  • NDR Online: Interview mit dem Hörspielmacher Ronald Steckel (über vergessene Autoren wie Ernst Ottwalt)
[Bk . 13/06/09]