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BERTRAM OTTO, LUISENSTR. 2A

Der Schule gegenüber, in der Luisenstraße 2a, wohnte in den dreißiger und vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts Bertram Otto. Dieser hat einen Erinnerungsband hinterlassen, in dem es um die Zeit von 1927 bis 1947 in Halle geht. Interessant die Informationen aus dem Buch, die unser Schulhaus betreffen. Einige sollen hier zitiert werden.
Die Familie Otto zog Ende 1936 in das Haus Luisenstr. 2a, das die Familie gekauft hatte. Der Vater/Großvater besaß eine kleine Firma namens "F.A. Otto" mit Geschäft am Markt, "Schürzen-Otto" genannt. Bertram Otto, 1924 in Halle geboren, war 1936 12 Jahre alt und ging in die Friedrich-Nietzsche-Oberschule (heute Herdergymnasium; Schulbesuch von 1935 bis 1942).

Schließlich zog man in die Luisenstraße. "Wir wohnten auch nicht mehr am toten Saalearm in der Kefersteinstraße, sondern in einer 'Villa'. ... Als ich zum ersten Mal mit meinen Eltern in das große Treppenhaus trat, mit Treppenumgängen und LIchtschacht bis zum Dach - die Dimensionen, die Luft, die Farben, Marmor und Getäfeltes -, schien es mir, als hätte ich mein bisheriges Leben in zwei Nummern größer umgetauscht. ... Zur Hauseinweihung kamen Freunde mit Blumen, die Bundesbrüder sangen. ... Pfarrer Mosbach von St. Elisabeth sprengte Weihwasser auf das empfindliche Möbiliar." (S. 95)
Unser Schulgebäude findet das erste Mal Erwähnung auf Seite 119 (Kapitel "1939"): "Unserem Haus gegenüber lag der große Schulhof des seitlich angrenzenden Stadtgymnasiums. Ab Mittag, nach Schulschluss, leer, diente er als 'Appelplatz' für das NSKK (Nationalsozialistisches Kraftfahrzeugkorps), ein exklusiver Parteiverband, junge Männer mit eigenem 'Kraftrad', die im Braunhemd ihrer Liebhaberei für schnelle Motorräder nachgehen konnten. Sie waren mehr an Touren und Technik als an Parteischulung interessiert elitäre Freizeitnazis. Der Volksmund hatte aus NSKK 'Nur Säufer, keine Kämper' gemacht. Werktags abends knatterten ihre Kisten auf dem Treffpunkt Schulhof, jedesmal eine andere 'Rotte'." (S. 219)

Das Schulgebäude spielt dann 1945 noch einmal eine Rolle im Leben des Bertram Otto, kurz vor Ende des Krieges. Der Autor kehrte als Leutnant zu seinen Eltern in die Luisenstraße zurück, um sich in einem Lazarett zu melden. Der Autor schreibt: "Durch das Treppenhaus polterten Schritte. Dann stand der Standortarzt von Halle im Zimmer, ... Oberfeldarzt Dr. Seeland. ... Erst jetzt erfuhr ich, dass der Oberfeldarzt bei uns 'einquartiert' worden war. Seine Dienststelle befand sich im Lazarett 'Stadtgymnasium', vis-a-vis." (S. 232)

Otto schließt sich der Lieser-Gruppe an, benannt nach einem Universitätsprofessor, die die kampflose Übergabe der Stadt an die Amerikaner durchsetzen will. In der Moritzburg trifft er bei einer Zusammenkunft der Gruppe auch Graf Luckner sowie den Chef des Lazaretts im Gebäude des Stadtgymnasiums, Seefeld. Am 15. April 1945 forderten die amerikanischen Streitkräfte durch Flugblätter den Stadtkommandanten von Halle auf, die Stadt kampflos zu übergeben und sich zurück zu ziehen. Dieser, Generalleutnant Rathke, lehnte die Aufforderung der Amerikaner ab. Bertram Otto beschreibt in seinem Erinnerungsband, wie es weiter ging: "Aus nächster Nähe habe ich die dramatischen Stunden miterlebt und sein angespanntes Gesicht noch vor Augen (von Luckner - B.), als er am Nachmittag des 16. aus der Victoria-Apotheke seines Freundes Hein in der Großen Steinstraße aufbrach, bestärkt durch viele Freunde und durch einige 'Köm', sein Lieblingselixier Kümmelschnaps. ... Mit dem Lieferwagen unserer Firma erkundete ich den Durchlaß in Trotha (der amerikansiche Generalleutnant McAllen hatte seinen Gefechtsstand auf dem Petersberg - B.). ... Im Wagen des Rotkreuzpräsidenten Dr. Weins, eines bekannten halleschen Arztes, zusammen mit OB Dr. Weidemann und dem Wehrmachtsoffizier a.D. Karl Huhold schlichen sich die Emissäre durch die Stadt ins 'Feindgebiet'. Nach bangen Stunden kamen sie zurück ... Was Luckner in der Tasche hatte, war eine Landkarte, auf der eingezeichnet war, bis wann und wohin sich die deutschen Kampftruppen zurückzuziehen hatten. Um dessen Einhaltung mußte 'zu Hause' noch gerungen werden. Es blieb brisant, weil der deutsche Kampfkommandant ... sich weiterhin weigerten, die Stadt kampflos räumen zu lassen. ... Das hat mir erspart, so kurz vor Waffenruhe, womöglich neine eigene Waffe noch einmal gebrauchen zu müssen. Prof. Lieser und seine Gruppe hatten beschlossen, zum letzten Mittel zu greifen: Der General und sein Hauptmann sollten, notfalls mit vorgehaltener Pistole, überwältigt und in unserem Lazarett (also in unserem Schulgebäude - B.) festgesetzt werden. Dort gab es einen Oberst, der bereit war, die Kapitulation zu verantworten. Zusammen mit zwei anderen stellte ich mich für diesen Handstreich zur Verfügung. Mit 'griffbereiten Pistolen' liefen wir zur Kampfkommandantur. Als wir atemlos dort ankamen, konnten wir die Pistolen wieder entsichern. Der Gefechtsstand war leer. Später erfuhren wir, daß Generalleutnant Rathke seine Befehlstreue ... noch mit seinem Leben bezahlte." (S. 237 - 239)

"... erlebte auch ich die Ankunft der ersten Jeeps vor dem Portal unseres Lazaretts." Otto erzählt weiter, dass der Oberfeldarzt des Lazaretts von einem amerikansichen Hauptmann vor die Tür zitiert wurde und dieser den amerikanischen Offizier mit dem Hitlergruß begrüßte. Dafür erntete er Schläge (S. 240). Otto wird später von den Amerikanern als Polizist, unter anderem in der politischen Abteilung, eingesetzt. Er "entsorgt" in dieser Funktion die NSDAP-Akten seines Vaters und einiger Bekannten in der Saale. (S. 246)

Schließlich wechselt die Besatzungsmacht. Sommer 1945: "Eines Abends erschien ein Trupp Russen und beschlagnahmte unser Haus als eines der ersten Privathäuser in der Stadt. Ein Teil der Luisenstraße um das Landratsamt bekam Gitterzäune und Lichtschleusen für die Nacht. Sperrbezirk. Unser Haus wurde zum Kasino bestimmt." (S.250f.) 
Die ehemaligen Bewohner des Nachbarhauses (wahrscheinlich Haus Nr. 2 - B.) werden vom Autor mit Prof. Löffler, Bankdirektor Lässig, Fräulein Quenstett und Landrat Dr. Bielenberg benannt. Nach dem Einzug der amerikanischen Armee wurde dieses Haus von den Amerikanern beschlagnahmt (S. 246/253). "Nach den Amis waren dort 15 NKWD-Offiziere und -Offizierinnen nachgerückt." (S. 252)

Die Ottos wohnten noch bis zum Frühjahr 1946 im NKWD-Sperrbezirk. (S. 257) und zogen dann in die Wettinerstr. (heute Karl-Liebknecht-Str.). Der Autor beschreibt in seinen Lebenserinnerungen weiter, wie  dem wegen fadenscheiniger Anschuldigungen in Haft sitzenden Prof. Lieser 1946 mit einem von ihm gestohlenen Polizeisiegel die Flucht nach Westberlin gelang.

Bertram Otto tritt in die CDU ein und wird Assessor im Halleschen Amtsgericht. Ein Studium wird ihm verwehrt. Schließlich wird er DEFA-Aufnahmeleiter für Sachsen-Anhalt. Nachdem er mehrmals zum Verhör (NKWD; Luisenstr. 5) beordert wurde flüchtete er am 1. Mai 1947 in die englische Besatzungszone. 

Damit enden seine  Erinnerungen an die Stadt Halle. Bertram Otto ist später in Westdeutschland als Verleger tätig geworden. Nach dem finanziellen Ende seines Verlages war er für kirchliche Einrichtungen im Ausland unterwegs. Er ist bis heute poetisch tätig und veröffentlicht regelmäßig Gedichte.


Weiterführende Links
- 23-minütiges WDR-Radiointerview vom 18.12.2011 mit dem 87-jährigen Bertram Otto
- WDR2 Sonntagsfragen: "Poesie in allen Dingen"
Rezension des Buches bei perlentaucher.de

[Bk 02-09-12]

Buchcover "Wussten wir auch nicht, wohin es geht ...", Erinnerungen 1927 - 1947, Universitas, München 2000; alle Zitate entstammen diesem Buch (ist im histor. Schularchiv vorhanden)

VILLEN IN DER LUISENSTR. 4/5 (EHEM. SOWJET. KOMMANDANTUR)

Informationen zur Sanierung findet man hier


Ausschnitt aus dem Adressbuch 1931
schulgeschichte(at)igs-halle.de 

Haus Luisenstr. 2a (rechte Haushälfte - Zustand 2012)