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GEORG CANTOR - FRIEDRICH MEYER - FELIX BERNSTEIN

Die Recherchen zum Abiturienten des Stadtgymnasiums, Felix Bernstein, führen zum großen Mathematiker Georg Cantor, wobei das fehlende Bindeglied der Mathematiklehrer des Stadtgymnasiums Friedrich Meyer zu sein scheint. In der Literatur finden sich Hinweise darauf, dass F. M. die mathematische Begabung des F. B. entdeckte. Er selbst hatte Kontakte zu Georg Cantor. 1855 erschien in Halle bei H. W. Schmidt das Buch Friedrich Meyers "Eemente der Arithmetik und Algebra" in der zweiten Auflage {Originalausgabe befindet sich im histor. Archiv der IGS].  In den gesammelten Werken G. Cantors, die 1932 von Zermelo herausgegeben wurden schreibt Fraenkel, dass es das erste Schulbuch gewesen sei, dass die neuen Ideen Cantors für die Schule umsetzte. Es hätte eigentlich einen besonderen Platz verdient. Der Oberlehrer am Stadtgymnasium, Friedrich Meyer, hat wohl aus erster Hand die neuen Erkenntnisse von Cantor erfahren, diese für sich verarbeitet und in einem Mathematikbuch eingearbeitet. 1883 befand sich Cantor in Halle in einer tiefen psychologischen Krise, die durch die mangelnde Anerkennung seiner Ideen begründet ist. Da muss ein Mathematiklehrer, der das Neue in die Schulmathematik einfügen will, eine sehr positve Rolle gespielt haben. Der gleiche Mathematiklehrer präsentiert Cantor 10 Jahre später einen mathematisch begabten Schüler, nämlich Felix Bernstein, der ebenfalls das Neue positiv aufnimmt und aus Cantors Mengenlehre ein Dissertationsthema ableitet sowie einen wichtigen Satz (Äquivalenzsatz) beweist und publiziert. Der bedeutsame Dedekind, der mit Cantor im produktien Austausch stand, lieferte später ebenfalls einen Beweis und hat Felix Bernstein, den "Schüler Cantors", in Harzburg empfangen. Im  Alter eines Abiturienten kommt Bernstein somit schon mit zwei wichtigen Mathematikern zusammen. Auch seine Teilnahme am Mathematischen Seminar Cantors ist bemerkenswert, da eigentlich Studenten des dritten Semesters erst teilnehmen durften. Da mitunter das Seminar mit nur ein bis drei Studenten besetzt war (zum Leidewesen Cantors), konnte sich ein Felix Bernstein unter solchen Bedingungen bestens profilieren.  

Schauen wir uns das Lehrbuch genauer an. Wir lassen Friedrich Meyer selbst zu Wort kommen. Im Vorwort zu zweiten Auflage heißt es: "Der Gedankengang dieser 'Elemente', welche den Fachlehrern derselben Anstalt als Basis des Zusammenwirkens, den Schülern zu fruchtbringender Reputation dienen sollen, liegt klar und unverhüllt da. Im Vordergrunde stehen der Begriff der Menge,  insonderheit der wohlgeordneten Menge und der Begriff der Mächtigkeit, an welchen sich derjenige der Anzahl naturgemäß anschließt." Den Begründer der neuen Mengenlehre würdigt Friedrich Meyer folgendermaßen: "Es ist das große Verdienst der tiefsinnigen Forschungen Georg Cantors, Modi des Unendlichen aufgedeckt zu haben, welche in den transfiniten Zahlen feste Gestalt annehmen. ... Es ist überaus bedeutungsvoll, daß der Mengenbegriff, auf welchem die weittragenden Forschungen Cantors beruhen, schon bei den griechischen Mathematikern eine Rolle gespielt hat ... Mit der Festsetzung der Algorithmen für die rechnerische Behandlung dieser unendlilchen Mengen, wiederum vorwiegend ein Verdienst Cantors, kann nach mehr denn 2000 Jahren als erreicht angsehen werden... Zum Schluß benutze ich diese Gelegenheit, um das Studium der Schriften Cantors ... auf das wärmste zu empfehlen. Ich bin dankbar nicht nur für die Belehrung, welche mir hier über Prinzipien der Größenlehre zuteil wurde, sondern ebenso sehr für Mitteilungen im persönlichen Verkehr mit diesem scharfsinnigen Forscher."

Man beachte, dass dies 1885 (!) vor dem Siegeszug der Cantorschen Mengenlehre von einem Mathematiklehrer (und keinem professionellen Mathematiker) in einem Schulbuch (!)publiziert wurde. Es scheint klar. dass Friedrich Meyer seinem hochbegabten Schüler Felix Bernstein einige Jahre später das Studium der Cantorschen Arbeiten nicht nur empfohlen sondern regelrecht auferlegt hat. Und das war gut so. Schließlich ist Felix Bernstein nicht nur Schüler Cantors geblieben, sondern nutzte seine mathematischen Kenntnisse auch für außermathematische Fragestellungen (Vererbungsstatistik, Blutgruppentheorie, Versicherungsmathematik).

Friedrich Meyer war wohl ein Mathematiklehrer, der sich neuste Erkenntnisse der Wissenschaft aneignete und im eigenen Unterricht anwendete. Damals als auch heute nicht typisch. 

Quellen:
- "Elemente der Arithmetik und Algebra" von Friedrich Meyer, Oberlehrer am Stadt-Gymnasium zu Halle, 2. Aufl., mit 13 in den Text eingedruckten Holzschnitten, Druck und Verlag von H. W. Schmidt, 1885, 224 S. mit einem alphabetischen Register der wichtigsten Kunstwörter, einer Sterblichkeitstafel sowie einer Tafel der Maße des zehnteiligen Systems
[histor. Schularchiv IGS]
- "Georg Cantor - Gesammelte Abhandlungen mathematischen und philosophischen Inhalts" von Adolf Fraenkel, Berlin, Verlag von Julius Springer, Herausgeber Ernst Zermelo
[Göttinger Digitalisierungszentrum
http://gdz.sub.uni-goettingen.de/dms/load/img/?IDDOC=49439]

[Bk 09-07-10; Fotos B. Budnik]

Bronzewürfel in Halle-Neustadt zur Würdigung der Universitätsprofessoren G. Cantor, V. Klemperer usw.