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1. JUNI 1942 - DEPORTATION VON 132 JUDEN AUS HALLE NACH SOBIBÓR

 

Die Klasse 8b (Vo/Ol) hat am 1. Juni, dem 70. Jahrestag der Deportation von 134 Juden aus Halle und Umgebung in das Vernichtungslager Sobibor, ihrem Projekt "Stolpersteine" einen würdigen Abschluss gegeben. Mit Unterstützung der AG Spurensuche der Schule und in Zusammenarbeit mit dem halleschen Verein Zeit-Geschichte(n) wurde ein Rundgang geplant, der an drei ehemaligen sogen. "Judenhäusern" vorbei zum Bahnhof führte. Massendeportationen in KZs und Vernichtungslager wären in der NS-Zeit ohne Mitwirkung der Deutschen Reichsbahn nicht möglich gewesen. Deshalb wurde von der Klasse eine kleine Gedenveranstaltung auf dem Hauptbahnhof geplant (natürlich musste im Vorfeld die Genehmigung der Deutschen Bahn dazu eingeholt werden). Eigentlich wollte Prof. Max Schwab, selbst Betroffener und Mitglied des Vorstandes der Jüdischen Gemeinde Halle, an unserer Veranstaltung teilnehmen, konnte dies aber aus gesundheitlichen Gründen nicht realisieren. In einem Telefongespräch kurz vor dem Unterrichtsgang wünschte er der Klasse ein gutes Gelingen für das Vorhaben.

 

Am Steintor 18 war die erste Station. Das Haus gehörte der Jüdin Ida Elkan, die selbst später deportiert wurde. Andere Bewohner des Hauses fanden wir auf der Deportationsliste, die uns freundlicherweise vom Verein Zeit-Geschichte(n) zur Verfügung gestellt wurde. Für Ida Elkan, dessen Sohn Werner selbst Abiturient in unserem Schulgebäude war, wird am 05.11. ein Stolperstein gesetzt, der durch Spenden der IGS zum letzten Tag der offenen Tür finanziert wurde. Ein ebenfalls von uns finanzierter Stolperstein ist Dr. Albert Müller gewidmet, der selbst einer der Deportierten vom 1. Juni 1942 gewesen ist. Auch für ihn wird am 05.11. ein Stolperstein (Albert-Schweitzer-Str. 54) gesetzt. Zum Deportationszeitpunkt hatte er sein von jüdischen Architekten gebautes Wohnhaus schon zwangweise "unter Preis" verkaufen müssen und wurde deshalb auf der Deportationsliste mit der letzten Adresse Händelstr. 3 angegeben.
 

Unsere nächste Station war die Magdeburger Str. 7 (damals Hindenburgstr. 34). Von diesem Haus aus mussten zur Sammelstelle für die Deportation (die Adresse dafür konnte noch nicht genau recherchiert werden) auch Minderjährige wie Hans Kaplan (14), Kurt Wolf (13) und Brigitte Klawanski (5 Jahre alt) gehen. Den Schülern war klar, dass die Juden zu diesem Zeitpunkt nicht nur keine Autos sondern auch keine Fahrräder mehr besitzen durften und die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel wie der Straßenbahn nur mit Sondergenehmigung möglich war. Also musster der Weg zu Fuß mit dem per Gesetz angeordneten Gelben Stern (ab 6. Lebensjahr) erfolgen. 

Unsere dritte Station war die Forsterstr. 13. Auch hier befand sich ein "Judenhaus". Von diesem Haus aus wurden unter anderem die Kinder Eva Bernstein (4) und Chana Baer (1 Jahr alt) deportiert. Schüler gaben, wie auch an den beiden ersten Stationen, Informationen zur Adresse und legten dann einen Blumenstrauß zum Gedenken an die von diesem Haus aus Deportierten nieder. Ein Zettel unter den Blumen war dazu gedacht Passanten darüber zu informieren, warum gerade am Hauseingang dieses Hauses ein Blumenstrauß liegt.

Am Hauptbahnhof wurde ein langes Papierband mit der Aufschrift "Am 1. Juni 1942 wurden 132 jüdische Kinder, Jugendliche, Frauen und Männer aus Halle und Umgebung nach Sobibor deportiert und dort am Ankunftstag ermordet" entrollt. Es sollte die Reisenden über unser Vorhaben informieren und zum Stehenbleiben animieren. Die Schüler verlasen hier die Namen aller an diesem Tag von Halle aus Deportierten und sangen ein Lied. Danach wurden kleine Zettel mit je einem Namen von der Deportationsliste an Reisende verteilt. Einige Erfahrungen, die die Schüler beim Verteilen der Zettel im Gespräch mit den Vorbeikommenden gemacht haben, wurden noch auf dem Bahnhof mit einer Kamera aufgenommen.

Ein Reisender, der längere Zeit unseren Aktivitäten zuschaute und diese auch fotografierte war bereit, seinen positiven Eindruck über unsere Aktivität auch vor den Schülern selbst noch einmal zu äußern.
  

Am Abend fand im Puschkino eine vom Verein Zeit-Geschichte(n) organisierte Veranstaltung zur Judendeportation vom 1. Juni 1942 statt, an der auch die das Projekt beteiligten Lehrer der IGS teilnahmen (Vortrag von Dr. Gottwaldt und Film über den Aufstand im Lager Sobibor im Oktober 1943). Frau Vogel berichtete Frau Bohley gegenüber über den erfolgreichen Abschluss des Projekts und übergab ihr für das Archiv des Vereins Fotos von unserer Gedenkveranstaltung. 
 

Weiterführende Informationen:
- Texte, die die Schüler an den einzelnen Stationen vortrugen (doc-Datei)
- Notizen des Referenten A. Gottwaldt zum Deportationszug "Da 57" (doc-Datei)
- Streckenplan der DR mit der vom Autor identifizierten Strecke, die der Zug fuhr (jpg-Datei)
- Die Bücher (*) "Sonderzüge in den Tod" von der Deutschen Bahn AG und (**) "Die 'Judendeportationen' aus dem Deutschen Reich 1941-1945" von A. Gottwaldt können im historischen Schularchiv ausgeliehen werden

[Bk/Vo 05-06-12; Fotos Bk] 

DER KOPPELZUG "DA 57" VON KASSEL NACH IZBICA/SOBIBÓR ÜBER HALLE

aus (**) S. 211ff.:
"Der Koppelzug 'Da 57' beförderte 508 Juden aus dem Bezirk Kassel. ... In der zweiten Hälfte des Transports befanden sich ungefähr 500 Juden aus den Bezirken Halle-Merseburg und Chemnitz, allein 155 Juden aus dem Gau Halle-Merseburg, darunter 131 Menschen aus dem Stadtgebiet von Halle und 24 Personen aus dem weiteren Bezirk. ... Der Transport wurde in Lublin auf einem Nebengleis 'selektiert'. Dabei wurden etwa 98 bis 115 Männer im Alter zwischen 15 und 50 Jahren aus dem Transport ausgesucht und in das Lager Majdanek eingewiesen, wie ein Überlebender bezeugt. Vermutlich ist der Zug sodann direkt zu dem Vernichtungslager Sobibor geleitet worden."

DEPORTIERT AUS HALLE

aus (*) S. 139 - 141:
"Zu Beginn der NS-Herrschaft zählte die jüdische Gemeinde in Halle 1086 Mitglieder. Die antisemitischen Maßnahmen und Gesetze veranlaßten etwa zwei Drittel der jüdischen Einwohner zur Emigration. Im Jahr 1941 lebten noch 283 Juden in der Stadt. ... Ein weiterer Transport fuhr am 20. September 1942 in das Ghetto Theresienstadt. Darin befanden sich 68 Bewohner des 'Altenheims' in der Boelckestraße. Noch am 14. Februar 1945 hielt ein von Frankfurt am Main kommender Transport auf dem Güterbahnhof der Stadt. Dorthin hatte die Gestapo einige Hallenser gebracht, die bislang als Ehepartner in einer so genannten privilegierten Mischehe geschützt gewesen waren. Über Leipzig wurde der aus Güterwagen bestehende Zug nach Theresienstadt geleitet. Nach Ende des Krieges lebten noch 49 Juden in Halle und Umgebung."  

ANNE FRANK IN IHREM TAGEBUCH(20. JUNI 1942)

"Ab Mai 1940 ging es bergab mit den guten Zeiten: erst der Krieg, dann die Kapitulation, der Einmarsch der Deutschen, und das Elend für uns Juden begann. Judengesetz folgte auf Judengesetz, und unsere Freiheit wurde sehr beschränkt. Juden müssen einen Judenstern tragen; Juden müssen ihre Fahrräder abgeben; Juden dürfen nicht mit der Straßenbahn fahren; Juden dürfen nicht mit einem Auto fahren, auch nicht mit einem privaten; Juden dürfen nur von 3-5 Uhr einkaufen; Juden dürfen nur zu einem jüdischen Friseur; Juden dürfen zwischen 8 Uhr abends und 6 Uhr morgens nicht auf die Straße; Juden dürfen sich nicht in Theatern, Kinos und an anderen dem Vergnügen dienenden Plätzen aufhalten; Juden dürfen nicht ins Schwimmbad, ebenso wenig auf Tennis-, Hockey- oder andere Sportplätze; Juden dürfen nicht rudern; Juden dürfen in der Öffentlichkeit keinerlei Sport treiben; Juden dürfen nach acht Uhr abends weder in ihrem eigenen Garten noch bei Bekannten sitzen; Juden dürfen nicht zu Christen ins Haus kommen; Juden müssen auf jüdische Schulen gehen und dergleichen mehr."